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Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bellamy
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Pianistin war deprimiert, weil sie gerade ihren zwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte. »Ich bin alt!«, beschwerte sie sich. Martín wohnte bei seiner Mutter, die es nicht leiden konnte, wenn außerhalb der dafür vorgesehenen Zeiten Klavier gespielt wurde, und die ständige Qualmerei ihrer Gäste kaum ertrug. Der Clique blieb nichts anderes übrig, als sich zu trennen. Als Nelson seinen Anschluss nach Wien verpasste, sagte Martha zu ihm: »Das ist Schicksal. Komm mit mir!« Also kehrten sie gemeinsam in die Schweiz zurück.
    Überglücklich, endlich wieder jemanden zu haben, um den sie sich kümmern konnte, nahm sich Juanita nun der Karriere von Nelson an, der damals gerade eine schwierige Phase durchlebte, voller Ängste und Selbstzweifel. Dem Brasilianer zufolge hatte Marthas Mutter wunderbare Ideen, deren Realisierung jedoch jedes Mal in ein Desaster führte. In Erinnerung an die guten Kontakte, die Marthas Sieg beim Genfer Wettbewerb mit sich gebracht hatte, wollte Juanita, dass auch Nelson dort sein Glück versuchte. Jeden Morgen rief sie von ihrem Büro in der Botschaft aus an, um sich davon zu überzeugen, dass ihr Schützling brav am Klavier saß und nicht faul im Bett herumlag. Clever, wie er war, stand dieser zwar auf, um den Anruf entgegenzunehmen, legte sich anschließend aber sofort wieder hin. Eines Tages kehrte Juanita von düsteren Vorahnungen erfüllt früher als erwartet nach Hause zurück und überschüttete den Faulenzer mit eiskaltem Wasser. Nelson, dem nun nichts anderes mehr übrig blieb, als tatsächlich jeden Morgen brav zu üben, hatte sich vorgenommen, sich ohne Juanitas Wissen für den Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau einzuschreiben. Doch schon bald spielte ihr der Zufall einen Brief mit russischem Absender in die Hände, und wutschnaubend setzte sie den Undankbaren vor die Tür.
    Ironie des Schicksals: Genau in dem Moment, als ihre erste Langspielplatte bei der Deutschen Grammophon herauskam, hatte Martha Argerich beschlossen, ihre Karriere auf Eis zu legen. Die Aufnahme schlug in der Welt der klassischen Musik ein wie eine Bombe. Doch viel mehr als all die überschwänglichen Kritiken berührte die Pianistin ein Glückwunschschreiben von Vladimir Horowitz. Er konnte besser als jeder andere verstehen, warum sie nicht auf die Bühne zurückkehren wollte. Martha fragte sich sogar, ob wirklich sie selbst sich für das Klavier entschieden hatte oder ob es nicht viel eher der Wunsch ihrer Eltern gewesen war, später der ihrer Lehrer und noch später der des Publikums, den sie da aus einem unerklärlichen Drang nach
Anpassung zu dem ihren gemacht hatte. Weil sie sich nicht dazu befähigt fühlte, Unterricht zu geben, beschloss sie, selbst weiter zu lernen.

Moncalieri
Das Schweigen Michelangelis
    Es heißt, Arturo Benedetti Michelangeli habe in seinem Leben mehr Konzerte abgesagt als gegeben. Bei der Flut von Legenden, die sich um ihn ranken, ist dies wahrscheinlich eine der wenigen mit einem gewissen Wahrheitsgehalt. Einmal, im November 1978 in der Salle Pleyel in Paris, brach er sogar ein Konzert nach der Pause ab. »Der Maestro hat kalte Finger«, wurde dem Publikum als Begründung mitgeteilt, und niemand wagte auch nur ansatzweise zu protestieren. Dieser einsame Gepard, dem jede Form von Ruhm gleichgültig war, der bis zur Verzweiflung die Perfektion anstrebte, den Notentext auf fast schon fanatische Weise respektierte, vermochte Musik wie ein überwältigendes, längst der Vergangenheit angehörendes Geheimnis aus der Stille heraus zu erzeugen. Sein sehr reines, transparentes und klares
Spiel ließ einen deutlichen Einfluss der französischen Musik und eine große Liebe zum Gesang erkennen. »Ich spiele nicht für die anderen«, bekannte er irgendwann einmal, »ich spiele nur für mich selbst, im Dienste des Komponisten. Es ist nicht entscheidend, ob dies vor Publikum geschieht oder nicht. Wenn ich am Flügel sitze, denke ich nur an die Klänge, die von ihm ausgehen und die das Ergebnis eines Schaffensprozesses sind.«
    Michelangeli, der ein ganzes Klavier auseinandernehmen und wieder zusammenbauen konnte, war auch ein begnadeter Rennfahrer. Eines Tages fuhr er mit seinem Ferrari auf einer Landstraße irgendwo in Italien herum, als er von einem Polizisten angehalten wurde. »Was machen Sie beruflich?«, fragte der Beamte. »Ich spiele«, erwiderte der Pianist lakonisch. »Sie spielen?«, hakte der andere argwöhnisch nach. »Was soll das heißen? Wo spielen Sie?« –

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