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Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bellamy
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beherrschten. Nichts gegen Clementi – von dem auch Horowitz die eine oder andere Sonate im Repertoire hatte –, aber Pischna! Für Michelangeli hatte Martha sich dazu durchgerungen, die Eroica-Variationen und die Waldsteinsonate von Beethoven zu spielen … »Ich habe ein bisschen geübt«, gibt sie heute zu, »aber nicht wirklich mit vollem Elan.«
    * Der 1826 in Erdischowitz geborene und 1896 in Prag verstorbene Pianist und Komponist ist heute vor allem noch für sein Lehrwerk 60 Klavierübungen bekannt.
    In Moncalieri war das Leben angenehm und perfekt durchorganisiert. Noch dazu war das Essen exzellent. Michelangeli liebte es, den Tag bei einem Glas Johnnie Walker zu beschließen – »Black Label«, nicht »Red Label«; die Gründe dafür erklärte er gern zu später Stunde –, wobei er argentinische Zigaretten rauchte. Eines Tages bat er Martha, im Namen seines Instituts in Turin zu spielen. Sie protestierte: »Aber ich habe doch nur zwei Unterrichtsstunden bei Ihnen gehabt!« Und er gab zur Antwort: »Ab morgen bekommst du jeden Tag eine.« Das war jedoch keineswegs der Fall, und wenige Stunden vor dem großen Ereig-
nis war Michelangeli wie von der Bildfläche verschwunden. Als er nach dem Konzert wieder auftauchte, dankte er Martha mit einem breiten Lächeln. »Man hat mir gesagt, du hättest sehr gut gespielt.« Geschmeichelt enthielt sie sich jedes weiteren Kommentars.
    Aber die Stunde ihrer Rache sollte nicht lange auf sich warten lassen. Eines Tages hörten ein paar von Michelangelis Schülern eine Schallplattenaufnahme von Maurice Ravels Jeux d’eau . Sie waren so vertieft in die Musik, dass sie nicht mitbekamen, wie sich die Zimmertür öffnete. Der Maestro, der den Kopf in den Türspalt gesteckt hatte, betrachtete sie gerührt. »Ist das meine Aufnahme?«, fragte er schließlich. Die Angesprochenen schüttelten den Kopf, ohne sich zu ihm umzudrehen: »Nein, das ist Martha.« Der große Künstler zuckte nicht mit der Wimper und schloss leise die Tür hinter sich.

New York
Auf der Suche nach Horowitz
    Zu Beginn des Jahres 1963 hatte Martha Argerich vergessen, dass sie Pianistin war. Sie ging ins Kino, reiste durch die Gegend, um ihre Freunde zu besuchen, trank mit Wasser verdünnten Wein, rauchte und ging selten vor Morgengrauen ins Bett. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, beschloss sie, sich eine Stelle als Sekretärin zu suchen. Maschineschreiben erschien ihr als die ihren Talenten am meisten entsprechende Tätigkeit. Die achtzehn Monate Italienaufenthalt hatten nicht vermocht, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. »Sie war eine lebendige Legende«, erinnert sich Nelson Freire, »doch das, was sie machte, befriedigte sie nicht.«
    Suchte sie mit ihren einundzwanzig Jahren nach einem Mentor oder einfach nur nach einem Kollegen, der sie verstehen würde? Die Deutsche Grammophon bewilligte ihr ein monatliches Stipendium in Höhe von 500 Mark, damit sie wieder zur Ruhe kommen könne. Martha schuldete ihr noch zwei Schallplatten, es handelte sich also um eine Art Vorschuss. Plattenfirmen sind an die Empfindsamkeit und die Kapricen großer Pianisten gewöhnt. Zu jener Zeit hatte sich Horowitz gerade in eine Elektrokrampftherapie begeben, und Michelangeli verschwand regelmäßig hinter irgendwelchen Klostermauern. Wenig später sollte Richter mit einem Hummer an der Leine seine Spaziergänge unternehmen und Glenn Gould eine Herde Kühe auf einem Feld dirigieren … Die Schrullen von Pianisten stehen denen von Rockstars in nichts nach.
    Einem spontanen Entschluss folgend, machte sich Martha Argerich auf den Weg nach New York, um ihr Glück bei Vladimir Horowitz zu versuchen, der nur einige wenige Schüler annahm. Horowitz war das genaue Gegenteil von Michelangeli. Während der Italiener stets auf der Suche nach der perfekten Form war, die er, einmal gefunden, nie wieder verließ, war Horowitz ständig damit beschäftigt, Neues zu schaffen. Und nie spielte er ein Stück zweimal auf die gleiche Weise. Beide Künstler waren wie Diamanten, der eine durchsichtig und klar, der andere funkelnd und in tausend Farben schillernd, die ständig wechselten.
    Horowitz hatte alles, um Martha zu verführen: ein einzigartiges Spiel, einen magischen Klang und eine sehr ungewöhnliche Persönlichkeit. Er spielte mit flachen Fingern, was außer im Bereich des Jazz nicht gerade den Usancen entsprach. »Ich bin ein Romantiker des neunzehnten Jahrhunderts«, pflegte er zu sagen. »Ich nehme schreckliche Risiken auf mich.

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