Martha Argerich
Geburtstag von Frédéric Chopin. Später ging man auf den 17. Oktober, den Todestag des Komponisten, damit die oftmals schon ziemlich betagten Juroren nach dem langen polnischen Winter nicht von Erkältungen und Atemwegsinfektionen geplagt waren.) Von den sechsundsiebzig Pianisten aus dreißig verschiedenen Ländern konnten sechsunddreißig die erste Hürde nehmen. Im Finale, in dem traditionellerweise eines der beiden Klavierkonzerte des polnischen Säulenheiligen gespielt wird, waren es nicht mehr als zwölf. Die Legende besagt, dass man mit dem Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll keine Chancen auf einen Sieg hat. Martha entschied sich für das Stück, das sie am besten kannte: das elegische Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll . Die Jury unter Vorsitz des Polen Zbigniew Drzewiecki bestand aus einundzwanzig Pianisten, darunter Jan Ekier, Eugene List, Nikita Magaloff, Vlado Perlemuter und Magda Tagliaferro.
Von Anfang an waren Presse und Publikum von Marthas Spiel begeistert, die der unbestrittene Star der Veranstaltung war. Zum Aufsehen, das sie erregte, trug erheblich ihr Äußeres bei. Man fand, sie sehe wie eine Französin aus, mit ihrem offenen Haar »à la Juliette Gréco« oder »à la Françoise Hardy«. Alle wollten sie hören. Die Leute schlugen sich um Karten, wenn sie an der Reihe war. Kaum erschien sie auf der Bühne, war das Publikum wie verzaubert. Und sobald ihre Hände über das Klavier tanzten, verfiel der Saal in eine Art Trancezustand. Am 6. März konnte man in der Zycie Warszawy lesen: »Die erste Kandidatin, die die Bühne betrat, war die Argentinierin Martha Argerich. Mit ihrem fantastischen Spiel hatte sie bereits in der Vorrunde bei ihrem allerersten Auftritt die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So war es nicht weiter verwunderlich, dass ihre Darbietung mit großer Spannung erwartet wurde.« Am 22. Fe-
bruar spielte sie die Etüden op. 10 Nr. 1 und 4 , das Nocturne op. 15 Nr. 1 , die Polonaise op. 53 und die vierundzwanzig Préludes . Die Zeitung Stolica jubilierte wie folgt: »Zahlreiche Pianisten, darunter weltberühmte, haben seit Horowitz’ Aufnahme der äußerst schwierigen Etüde op. 10 Nr. 1 versucht, selbige zu spielen, doch keinem von ihnen ist es je auf so brillante Weise gelungen wie Martha Argerich. Von Anfang an vermochte die phänomenale Argentinierin mit den stählernen Fingern eine große Bandbreite an Ausdrucksformen zu erzielen, mit einer außergewöhnlichen Virtuosität der rechten Hand, die ein regelrechtes Gewitter auslöste. Ihr Tempo und ihre Artikulation in diesem Stück sind unübertroffen.« Am 5. März fuhr sie mit der Etüde op. 25 Nr. 10 , der Grande Valse brillante op. 34 Nr. 1 , der Barcarolle und dem Scherzo Nr. 3 fort. Am 10. März waren das Nocturne op. 55 Nr. 2 , die Sonate op. 58 Nr. 3 und die drei Mazurken op. 59 dran. Am 13. März endete sie mit dem Klavierkonzert e-Moll . Der Applaus steigerte sich von Mal zu Mal. Je weiter der Wettbewerb voranschritt, desto vertrauter wurde das Publikum mit den eklatantesten Charakteristika ihres Spiels und bekam ein Gefühl für die Feinheiten ihres Vortrags. »Ihre Tastenkunst ist ein einziges großes Raunen«, titelte die wichtigste polnische Zeitung, die von ihrer starken musikalischen Persönlichkeit und ihrer Fähigkeit schwärmte, selbst die winzigsten Details in den Kompositionen des genialen Chopin hörbar zu machen.
Am 13. März 1965 wurde Martha Argerich zur siebten Siegerin in der Geschichte des Chopin-Wettbewerbs gewählt. Eine Woche später konnte man in der Trybuna Mazowiecka lesen: »Niemand würde der argentinischen Pianistin Martha Argerich diesen Sieg wohl streitig machen wollen. Ihr fulminantes Spiel, ihre technische Perfektion, ihre glanzvolle Interpretation und ihre romantische Virtuosität vermochten das Publikum auf Anhieb für sich einzunehmen. Ihre Darbietung der Mazurken erwies sich als ebenso tänzerisch und melodiös wie geradezu gipfelstürmend.« Sie war die erste Pianistin aus Südamerika, die mit diesem hochheiligen Preis ausgezeichnet wurde. Die Argentinier waren stolz auf sie.
Der zweite Platz wurde ebenfalls von einem Künstler aus Lateinamerika belegt: dem Brasilianer Arthur Moreira Lima, der bei Lúcia Branco studiert hatte, der ehemaligen Lehrerin von Nelson Freire in Rio de Janeiro. Platz drei errang die Polin Marta Sosi´nska, dann folgten die Japanerin Hiroko Nakamura, der Amerikaner Edward Auer und schließlich die Polin Elzbieta Glabowna. Der begehrte Preis für die Beste Auffüh-
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