Martha Argerich
kann.
In den drei Jahren ihres Verhältnisses haben Stephen und Martha nur ein einziges Mal richtig zusammengearbeitet. »Das war in unserem Vertrag nicht vorgesehen«, lautet seine lapidare Begründung. Zu integer und zu stolz, um den Eindruck zu erwecken, er wolle von der Bekanntheit seiner Geliebten profitieren, scheute er zweifellos davor zurück, Privatleben und Arbeit miteinander zu verquicken und die Unschuld ihrer Beziehung zu gefährden. Weniger rigoros in dieser Hinsicht und nicht in der Lage, einem Freund einen Gefallen zu verweigern, dürfte Martha froh und erleichtert gewesen sein, eine von materiellen Interessen so unbelastete Beziehung gelebt zu haben.
Stephen Kovacevich sah in Martha kein monstre sacré , obwohl er die Eigenschaften, die sie zur Ikone machten, durchaus kannte und bewunderte. Er schätzte ihr Interesse an Menschen, die ein wenig verrückt waren und nichts auf die Reihe bekamen. Er war fasziniert von ihrer absoluten Transparenz, ihrer Unfähigkeit, Gefühle zu verbergen, und ihrer unendlichen Zärtlichkeit, die seiner Meinung nach ihre ganze Persönlichkeit durchdringt. Weniger beeindruckt war er von ihrer Virtuosität, von ihren unglaublichen Oktaven oder ihren atemberaubenden technischen Fähigkeiten. Doch er hörte die Geige in ihrem Klavierspiel! An besonders gelungenen Konzertabenden hatte Stephen Kovacevich das Gefühl, dass auch er aus dem großen schwarzen Ungeheuer mit den vielen kleinen Hämmerchen jenen erhabenen Gesang hervorzuzaubern vermochte. Doch bei Martha, so sagt er voller Respekt, ist es unerheblich, auf welchem Instrument sie spielt: Sie kann ihrem Bogenstrich immer Zartheit verleihen, ihr Vibrato mit Reichtum erfüllen, das Holz zum Arbeiten bringen. »Niemand weiß, wie sie das macht. Sie selbst am allerwenigsten.«
Marthas große Liebe zu Stephen Kovacevich verdeckt ein wenig eine andere, platonische Liebe, die möglicherweise genauso innig war. 1966 lernte Martha bei einer Einladung der Komtess Cadaval in Lissabon, zu der Nelson Freire und Stephen Kovace-
vich sie begleiteten, eine Musikerin kennen, für die sie auf der Stelle entflammte: die Cellistin Jacqueline du Pré. Sie hatte
gerade ihre triumphalen Debüts in London und New York mit Edward Elgars Konzert für Cello und Orchester hinter sich gebracht, ihrem Bravourstück par excellence. Bevor sie die Frau von Daniel Barenboim wurde, war Jacqueline die Partnerin und Geliebte Stephen Kovacevichs gewesen. Nach einer Russlandtournee fand ihre Liebe ein jähes Ende, was die beiden Musiker
jedoch nicht daran hinderte, weiterhin zusammen Kammer-
musik zu machen. Ihre Aufnahme der Sonaten von Brahms ( EMI ) ist ein wahres Wunderwerk. Martha hat nie mit ihr zusammen gespielt. »Ich habe mich nicht getraut«, gibt sie zu. Sie hatte zweifellos zu viel Respekt vor ihr. »Ihre Stimme war so melodisch wie ein erlesener Cognac. Sie war sehr besonders, sehr extravagant – und Wassermann! Wie meine Mutter …«
Wenn Jacqueline du Pré mit einem neuen Notentext konfrontiert wurde, war es, als ob die Noten bereits in ihr wären. Ihre Art zu spielen war so intensiv, so brennend und emotionsgeladen, dass man unmöglich nicht davon überwältigt sein konnte. Im Dezember 1966 hatte Jacqueline du Pré bei Fou Ts’ong, der zu dieser Zeit noch Yehudi Menuhins Schwiegersohn war, Daniel Barenboim kennengelernt. Sechs Monate später, mitten im Sechs-Tage-Krieg, schlossen die beiden Musiker in Israel den Bund fürs Leben, nachdem Jacqueline vorher zum Judentum übergetreten war. Ihre künstlerische und persönliche Verbindung geriet in der Welt der Musik zu einem großen Faszinosum. Martha war nicht die Einzige, die wild begeistert von Jacqueline du Pré war. Viele Musiker waren regelrecht verrückt nach ihr: Itzhak Perlman, Pinchas Zukerman, Zubin Mehta … In seiner Autobiografie schreibt Daniel Barenboim: »Sie [Jacqueline] empfand Abscheu vor allem, was falsch oder geheuchelt war, und vor allem Künstlichen. […] Man hatte das Gefühl völliger Hingabe, wenn sie spielte, und dies machte sie bei den Kollegen und beim Publikum so beliebt.«*
* Daniel Barenboim, Die Musik – mein Leben . Herausgegeben und ins Deutsche übertragen von Michael Lewin, Wunderlich Verlag, Reinbek 1992, S. 118.
Jacqueline du Pré war außerdem eine herausragende Pianistin. Daniel Barenboim erzählte Martha einmal, dass er an einer Beethoven-Sonate arbeitete, als Jacqueline ins Zimmer kam. Er spielte ihr eine Phrase auf zwei verschiedene Arten vor,
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