Martha im Gepaeck
einfach vor Martha und eine weitere alte Frau geschoben hatte. Auf Marthas Beschwerde hatte er zuerst gar nicht reagiert und dann nur verächtlich gegrinst. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Martha hatte ihm ihren Einkaufswagen mit voller Wucht in die Fersen gerammt, so dass der Typ der Länge nach auf dem Boden aufgeschlagen war. Glücklicherweise war bei dieser Gelegenheit auch das Diebesgut aus seinen Taschen gerollt, das er auf der Spritztour durch den Supermarkt eingeheimst hatte. Martha war der Star des Tages gewesen. Wie hatte Karen diesen Vorfall nur vergessen können? Eigentlich hätte sie schon damals begreifen müssen, dass mehr in Martha steckte, als man annahm.
»Jedenfalls ist Martha mit uns in den Urlaub gefahren.«
»Echt? Ihr habt sie mitgenommen? Das ist aber nett von euch.«
»Ja.« Karen wurde ein wenig verlegen. Das Hin und Her vor Marthas Wohnung fiel ihr wieder ein. Wie sie alles dafür gegeben hätte, Martha nicht mitnehmen zu müssen … »Und jetzt hat sie uns in dieses schottische Landhaus mitgenommen, wo ihr ehemaliger Lover wohnt. Was sagst du dazu? Du müsstest das hier mal sehen, es ist unglaublich.«
»Ihr ehemaliger Lover?« Drei Worte, die sofort Bettinas Aufmerksamkeit erweckten.
»Ja. Er betreibt eine Destillerie. Bernd ist im siebenten Himmel, kannst du dir ja vorstellen. Und dieses Haus hier – ich wünschte, du könntest das sehen. Mindestens dreißig Zimmer, ein Park drum herum und ein kleiner See.«
»Wow.«
»Und ein Irrgarten. Und wir dürfen hier Urlaub machen, einfach so. Und die Haushälterin kocht für uns. Ist das nicht der Wahnsinn?«
Bettina war immer stiller geworden. Im Hintergrund schrillte ein Telefon. Natürlich, sie befand sich auf der Arbeit, wo sonst. »Wie schön«, sagte sie schließlich. »Das musst du mir dann alles in Ruhe erzählen. Ich muss weitermachen, der Albrecht glotzt schon so nervig zu mir rüber. Und wenn du nicht da bist, ist es hier sowieso kaum zu ertragen.« Sie klang traurig.
Eine Idee fing an, sich in Karens Kopf zu formen. Natürlich, das war die Gelegenheit. »Du hast doch noch Mike. Der ist nett, oder etwa nicht?«
»Ja, schon. Aber der redet kaum mit mir.«
»Wie …«, Karen holte tief Luft, »wie findest du ihn denn?«
Bettina schwieg einen Moment. »Na ja, also wenn du mich so direkt fragst … Witzig ist er schon. Und nicht so dröge wie der Rest der Leute hier. Er sieht auch gut aus. Also ehrlich gesagt, könnte er mir gefallen.« Sie lachte bereits wieder. Ein gutes Zeichen.
»Könnte?«
»Könnte. Aber der würde mich im Leben nicht nehmen. Dem bin ich doch viel zu alt.«
»Er ist genauso alt wie du.«
»Ach ja? Was du immer alles weißt. Na, egal. Mach’s gut. Genieße dein englisches Ferienhaus.«
»Schottisches.«
»Meine ich doch. Und grüß deine ulkige Tante von mir.« Bettina hatte aufgelegt.
Karen hielt einen Moment lang regungslos ihr Handy in der Hand. Inzwischen war Ruhe um sie herum eingekehrt, abgesehen von Bernds Hämmern im Treppenhaus. Er pfiff dabei ein Lied von U 2 . »I still haven’t found what I’m looking for …«
Bono von U 2 mochte vielleicht sein ganzes Leben lang etwas suchen und nie finden, aber sie, Karen, hatte doch im Moment alles, was ein Mensch sich nur wünschen konnte. Ihr Blick blieb an dem gepflegten Rasen hängen und an den alten knorrigen Bäumen der Allee, deren Zweige an diesem Sonnentag Schatten spendeten. Es roch nach Gras, nach Erde und nach sonnenwarmen Steinen. Sie stand im prächtigen Eingang eines schottischen Landhauses aus dem Jahre 1870 und konnte hier tun und lassen, was sie wollte. Weiter vorn auf dem Weg entdeckte sie Angus, der ein Eichhörnchen jagte und dann verdutzt unter dem Baum sitzen blieb, auf den es geflohen war. Morgen wollten sie und Bernd in die Highlands fahren und dort wandern gehen, am nächsten Tag das Schloss Balmoral besuchen und von Johns altem Freund im Nachbardorf frischen Räucherlachs besorgen. Irgendwo in der Nähe fand ein Dudelsackfestival statt, da wollten sie auch noch hin. Karen blinzelte in die Sonne. Sie stellte sich Bettina vor, die gelangweilt auf ihren Bildschirm starrte und ihren Schreibtisch erst wieder um 18 . 00 Uhr verlassen durfte. Kurz entschlossen klappte sie ihr Handy auf und schrieb:
Mike, sie findet dich witzig, nett und gutaussehend. Du könntest ihr gefallen, wenn du nur endlich mal deinen Mund aufmachen und sie ansprechen würdest. Im Moment glaubt sie, du interessierst dich nicht
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