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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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trage hinüber zum Herrn Grafen und übergib es ihm selber.«
    »Wissen Frau Gräfin nicht, daß der Herr Graf heute früh abgefahren ist? Der Kammerdiener hat ihm seinen Koffer gebracht, dann einen Fiaker geholt ... und der Herr Graf ist auf die Südbahn, und dem Portier hat er gesagt, daß er erst morgen oder übermorgen zurückkommt –«
    »Ach so – einerlei ... leg' den Brief auf seinen Schreibtisch.« Jetzt war sie allein und vertiefte sich in Hugos Zeilen. Sie las sie einmal durch, dann ein zweites Mal, Satz für Satz – jeden ein paarmal hintereinander; einzelne Worte wiederholte sie laut und lauschte ihrem Klang, als wären sie Musik: »Ein Netz – aus Flammen gewoben ... Dein Schützer, Kind ... schmelzende Zärtlichkeit ...« Alle Töne die der Briefschreiber angeschlagen – Leidenschaft, Wagemut, Ruhesehnsucht, glühende Extase und schäumender Frohsinn, alles das vibrierte in ihrer Seele nach, und weckte solches Verlangen nach seiner Nähe, daß sie »aus Erbarmen« mit sich selber mehr noch als mit ihm, ihn am liebsten gleich gerufen hätte ... Aber sie widerstand der Lockung. Rufen würde sie ihn nicht, aber wenn er käme ... Bei dem Gedanken fühlte sie eine Beklemmung, von der sie nicht hätte sagen können, ob sie Schmerz oder Seligkeit war – –
    Gewaltsam raffte sie sich aus dieser Träumerei empor und klingelte ihrer Jungfer.
    »Schnell, einen Fiaker,« befahl sie. Sie hatte den raschen Entschluß gefaßt, ihre Mutter aufzusuchen und bei ihr den Tag zu verbringen. Sie wollte nicht allein bleiben – allein mit ihrer gefährlichen Sehnsucht.
    Aber Baronin Tilling war nicht zu Hause. Auch sie war – so sagte der Diener – diesen Morgen von Wien weggefahren, nach Grumitz, in geschäftlicher Angelegenheit.
    Den Wagen hatte Sylvia fortgeschickt, also ging sie zu Fuß wieder in die Richtung des Rings zurück. Bei einer Kreuzung mußte sie stehen bleiben, um ein paar Wagen vorüberfahren zu lassen und plötzlich hörte sie eine Stimme hinter sich:
    »Sylvia!«
    Sie wandte sich um.
    »Ach!« rief sie – Hugo Bresser stand neben ihr. Er war ebenso bewegt wie sie, ebenso blaß wie sie. Mit weit aufgerissenen Augen, einen fast schmerzlichen Zug um den zitternden Lippen, blickten sie einander eine Weile starr an.
    Ein eilig Vorübergehender, der ein Paket trug, stieß sie unsanft an; da kamen sie rasch zur Besinnung und erinnerten sich, daß sie auf belebter Straße waren. Sylvia wandte sich zum Gehen und als wäre es selbstverständlich, schritt Hugo neben ihr.
    »Sie haben meinen Brief –« begann er. Das »Du«, welches er niedergeschrieben, wollte ihm auf diesem öffentlichen Orte nicht über die Lippen und auch von dem Briefe zu reden, schien ihm garnicht am Platze und so vollendete er nicht den begonnenen Satz und fragte etwas anders:
    »Woher kommen Sie?«
    Diese Wendung war ihr eine Erleichterung. – »Ich komme von der Wohnung meiner Mutter – sie ist aber heute nach Grumitz gefahren, ich habe sie nicht getroffen. Wie sind die weiteren Aufführungen Ihres Stückes ausgefallen?«
    »Ich habe Ihnen nicht beigewohnt. Es ist merkwürdig, wie gleichgültig mir das Stück geworden ist – vielleicht, weil ich jetzt mein eigenes Drama erlebe ...«
    Sie ging schweigend weiter und er blieb an ihrer Seite. Nach einer Weile sprach er wieder:
    »Ich habe heute morgen den Grafen Delnitzky fahren sehen – mit einem Koffer auf dem Bock; ist er abgereist?«
    »Ja, auf ein oder zwei Tage!«
    »So sind Sie allein?«
    Sie verstand den Sinn, dieser Frage und antwortete:
    »Ich empfange niemand.«
    Sie kamen an einen Fiakerstand vorbei.
    »Fahr m'r, Eu'r Gnaden?« fragte einer von den Kutschern. Hugo blieb stehen und blickte Sylvia ins Gesicht:
    »Wie wär's, wenn wir einen Wagen nähmen, und –«
    »Wohin?«
    »Einerlei ... nach Schönbrunn, auf den Kahlenberg – es wäre ja doch nach Eden.«
    Sie schüttelte den Kopf und ging weiter. Eden war ja auch ihr Ziel. Aber in Italien sollte es sein – und wenn sie sich ganz frei gemacht. Seine Worte hatten eine Vision in ihr erweckt, die in Freudenglanz getaucht war. Und überhaupt: glücklich – einfach glücklich machte sie seine Nähe.
    Nach ein paar Schritten brach Hugo das Schweigen:
    »Es hat mir jemand geschrieben: Ich will Dein sein.«
    Sie machte eine heftige Bewegung mit der Hand, die er als Bitte auffaßte, er möge nicht hier, auf offener Straße an diesem heiligen Geheimnis rühren – und er begann von anderen Dingen zu reden: von einer

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