Martha's Kinder
Kongressen teilnehmen würden. Aber dazu konnte er sich nicht entschließen. Er war nicht, was so viele Menschen nach mehrjähriger Erfahrung werden – vereins müde , denn er hatte darin keine Erfahrungen, – sondern er war vereins scheu . Konkrete Dinge, wie beim Roten Kreuz, Rettungsgesellschaft, Tierschutz und dergleichen – die konnten wohl durch Organisation ersprießlich betrieben werden; abstrakte Ideen, sittliche Ideale, philosophische Wahrheiten: nein, diesen half es nichts, sie in ein Bureau mit Funktionären und Sitzungen mit Protokollen, oder in Kongresse mit Resolutionen zu zwingen; die mußten, um die öffentlichen Institutionen umzuwandeln, ihren Weg ins Haus, in die Schule, in die Köpfe der geistigen Führer und der Staatslenker finden. »Eine Weltanschauung«, pflegte er zu sagen, »läßt sich nicht organisieren; zur Heranziehung einer Gemeinde, gehören nicht Vorsitzende, Schriftführer und Kassenwarte, sondern Apostel.«
»Und willst Du nicht Apostel werden?« hatte ihn Martha gefragt.
»Wollen – hängt das vom Wollen ab?« fragte er zurück. »Ebensogut könnte man sich vornehmen, ein Genie zu werden. Wie hoch die Kraft sein wird, die man in den Dienst einer Sache stellt, das kann man nicht bestimmen, nur das eine kann man sich vornehmen: treu zu dienen – mit der ganzen Kraft, die man überhaupt hat.«
Da ihm die Tribüne des Abgeordnetenhauses verschlossen geblieben, blickte Rudolf nach einer andern Stelle aus, von wo er die Fülle seiner Gedanken und Pläne verkünden konnte, das Nächstliegende war: Zeitungsartikel zu schreiben. Er versuchte es. Die Anschauungen und Grundsätze, die vor seinen Wählern keine Gnade gefunden, die brachte er nun in Form von Essays zu Papier. Doch fand er damit ebensowenig Gnade bei den großen politischen Blättern. Da herrschte ja die gleiche Parteienge, die er in den lebendigen politischen Kreisen gefunden, ins Papierne übertragen. Was außerhalb der gewohnten Schlagwort«, der gewohnten Phrasengeleise lag, das wollten die Blatter nicht aufnehmen. Indessen das »Aktuelle« ist immer zeitungsspaltenfähig und so geschah es, als im Herbst 1891 die Telegrafenagenturen meldeten, in Rom werde unter Beteiligung offizieller Kreise ein Friedenskongreß und eine interparlamentarische Konferenz abgehalten – so geschah es, daß man in den Redaktionen doch auf jene Frage hinhorchte, und ein großes Wiener Blatt veröffentlichte einen von Rudolf Dotzky eingesandten Aufsatz, in welchem er ungefähr folgendes ausführte:
»Millionenheere, in zwei Lager geteilt, waffenklirrend, stehen bereit, nur eines Winkes gewärtig – aufeinander loszustürzen. In der gegenseitig zitternden Angst vor der unermeßlichen Furchtbarkeit des drohenden Ausbruchs liegt einigermaßen Gewähr für dessen Verzögerung.
Hinausschieben ist jedoch nicht Aufheben.
Die sogenannten »Segnungen« des Friedens (als wäre der bewaffnete Friede nicht selber ein Fluch) die werden uns immer nur von Jahr zu Jahr garantiert, immer nur als »hoffentlich« noch einige Zeit anhaltend hingestellt. Von der Abschaffung des Krieges, von gänzlicher Aufhebung des internationalen Gewaltprinzips, durch Einsetzung zwischenstaatlicher Justiz, davon wollen die zur »Aufrechterhaltung des Friedens« waffenbrüderlich verbundenen Gewalten nichts wissen. Der Krieg ist ihnen heilig, unausrottbar, und man darf ihn nicht wegdenken wollen; er ist ihnen auch – angesichts der Dimensionen, die er unter den gegenwärtigen Bedingungen annehmen müßte – furchtbar, vor dem eigenen Gewissen unverantwortlich, also darf man ihn nicht anfangen.
Was ist das aber für ein unnatürliches Ding, das nicht aufhören kann und nicht anfangen soll; das nicht weggewünscht und nicht herbeigeführt, nicht verneint und nicht bejaht werden darf? Ein ewiges Vorbereiten auf das, was durch die Vorbereitung vermieden werden soll – ein Vermeiden dessen, was durch die Vermeidung vorbereitet wird.
Dieses Widerspruchsmonstrum erklärt sich so:
Jenes Gebilde aus historischer Vergangenheit, das man noch aufrecht erhalten will, – die gebietverschiebende, machtvergrößernde, nur einen geringen Bruchteil der Bevölkerung in Anspruch nehmende frische und fröhliche Kriegführung, die ist inzwischen im Entwicklungsgange der Kultur, zur moralischen und physischen Unmöglichkeit geworden.
Moralisch unmöglich, weil die Menschen von ihrer Wildheit und Lebensverachtung verloren haben, daher nicht mehr fröhlich an das Totschlage-Werk gehen
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