Martha's Kinder
können, »die Blutarbeit ist mir verhaßt « schreibt Friedrich III. in seinem Tagebuch; – physisch unmöglich, weil die während der letzten zwanzig Jahre angewachsene Zerstörungstechnik einen Grad erreicht hat, der den nächsten Feldzug zwischen den großen Militärstaaten zu etwas gestalten würde, das etwas ganz neues, anderes wäre, etwas, das sich mit dem Wesen und den Zwecken des landläufigen Begriffes Krieg nicht mehr decken würde.
Ein Beispiel: wollte man durch lange Stunden ein Bad vorbereiten, das Wasser heizen, heizen, bis es siedet und überwallt – wäre dann dasjenige, was einen erwartete, der endlich doch in die Wanne stiege – oder vielmehr hineinfiele – noch ein Bad zu nennen? Noch ein paar Jahre solchen »aufrechterhaltenden Friedens«, solcher Heeresmehrungen, solcher Mordmaschinen-Erfindungen – elektrische Sprengminen, ekrasitgeladene Lufttorpedos – und kurz nach der Kriegserklärung sind sämtliche Kriegführende – verbrüht.
Jeden Augenblick kann die Explosion kommen. Diejenigen, welche die Lunte in Händen haben, geben zum Glück acht. Sie wissen, daß, bei solchem Pulvervorrat, die Folgen schrecklich wären, wenn sie unvorsichtiger- oder gar freventlicherweise den Funken hineinwürfen. Um also diese wohltätige Vorsicht zu steigern, wird der Pulvervorrat immer vergrößert. Wäre es nicht einfacher, freiwillig und übereinkommend die Lunte wegzutun, mit anderen Worten: abzurüsten? Den internationalen Rechtszustand einzusetzen, die getrennten Gruppen – die einander stets zuschwören, daß sie, wenn von der andern Gruppe angegriffen, Schulter an Schulter kämpfen wollen – zu einer Gruppe zu verschmelzen, den Bund der zivilisierten Staaten Europas zu gründen?«
Diese zwei Postulate: Einsetzung internationaler Friedensjustiz und europäischer Staatenbund – die bildeten in Rudolfs Sinn das ganze, klare, einfache Ziel des von Friedlich Tilling aufgestellten Ideals. Das dritte Postulat – die Abrüstung – müßte sich als die mechanische Folge der beiden anderen einstellen. So wie das Rüsten die Geste der Kriegswollenden und Kriegsfürchtenden ist, die einander feindlich und mißtrauisch gegenüber stehen, so wäre bei verbündeten Mächten, die für etwaige Streitfälle ein Schiedstribunal bereit hätten, die natürliche Geste das Abrüsten.
Jenen Artikel hatte er unterzeichnet und die Folge war, daß ihm aus den verschiedenen Schichten der Bevölkerung zahlreiche zustimmende Briefe zuflogen. Eine zweite Wirkung aber war, daß man ihn in seinem Kreise als »exaltierten Menschen« klassierte. Manche seiner Freunde fanden diese Exaltation schädlich und gefährlich. Einigen flößte es geradezu Abscheu ein, daß ein Aristokrat, ein Offizierssohn Ideen Ausdruck gab, die so bedenklich an die Deklamationen der militärfeindlichen »Sozis« anklangen und an der bestehenden Ordnung der Dinge rüttelten. Dabei solch unpraktisches, unausführbares Zeug! – »Utopie« sagten die Höflichen. Das Wort eignet sich so hübsch zum Wegfegen unbequemer Pläne. Es gibt zu, daß die Sache ja ganz schön und wünschenswert wäre – etwa die Überwindung des Todes – aber eben einfach unmöglich. Daß alle Errungenschaften von heute – alle, die technischen und sozialen – Eisenbahnen und Aufhebung der Sklaverei – meist als Utopie gegolten haben, daß daher dieses Wort die ganze Kulturgeschichte als eine ununterbrochene Kette beschämter Kleingläubigkeit durchzieht – dessen erinnern sich die neuen Utopie-Rufer nimmer.
XII.
Von Rudolfs Standesgenossen war Graf Kolnos der einzige, bei dem er Verständnis und aufmunternde Sympathie fand. Der alte Herr hatte eine Dichternatur und Dichter sind immer einigermaßen Seher. Ihr Blick holt aus der entrücktesten Vergangenheit romantische Züge hervor oder reicht furchtlos bis in jene Zukunftsfernen, die ihr Schönheitsideal erfüllen werden; zur opportunistischen Anpassung an den Gegenwarts-Alltag haben Dichter kein Geschick. An dem Tage, nachdem jener Artikel erschienen war, suchte Rudolf seinen Freund Kolnos auf.
Die Räume, die der kunstsinnige Edelmann in einem Hause am Kolowratring bewohnte, waren selber ein Poem. Eine Flucht von mehreren Zimmern, hoch und geräumig wie Säle, waren mit gesammelten Kunstschätzen angefüllt. Meistergemälde, Statuetten, antike Möbel, kostbare Stoffe, Teppiche und Felle, Prunkgefäße und Waffen, hunderterlei Dinge aus Porzellan und Edelmetall, aus Elfenbein und Bronze; Preziosen und Juwelen in
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