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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Email und funkelnden Steinen; mittelalterliche Manuskripte mit gemalten Initialen – daneben die noch unaufgeschnittenen Bücherneuheiten von heute. Das alles aber nicht etwa museummäßig in Vitrinen oder in Reih und Glied aufgestellt, sondern in zwangloser Verteilung; zum Zier und Nutzgebrauch in wohnlichem Heime.
    Graf Kolnos kam seinem Besucher mit ausgestreckter Hand entgegen.
    »Grüß Gott, Rudolf... Schön, daß Du wieder einmal zu mir kommst!«
    Trotz des großen Altersunterschiedes sagten sich die beiden Männer »Du«.
    In seiner äußeren Erscheinung gehörte Kolnos demselben Typus an wie Dotzky. Die gleiche hohe schmiegsame Gestalt, das gleiche edelgeschnittene Profil und sogar der gleiche, spanisch gestutzte Bart, mit dem Unterschiede, daß der eine schwarz, der andere schneeweiß war. »Gut, daß ich Dich allein finde«, sagte Rudolf, »ich will Dir wieder einmal mein Herz ausschütten und Dich um Rat fragen.
    »Ganz zu Diensten, mein Junge. Komm, setzen mir uns ... Hier in meinem kleinen Arbeitserker – da ist's am gemütlichsten ... Also meinen Rat willst Du, um ihn wieder nicht zu befolgen?... O, protestiere nicht, Du wirst Dich doch erinnern, daß ich Dir das Kandidieren um das Reichsratsmandat abgeredet hatte – und wer ging dennoch hin, um das zweifelhafte Privilegium zu werben, im Chor ja oder nein sagen zu dürfen, so wie man eben vom Parteischlüssel aufgezogen worden ... Dein guter Genius hat Dich davor gerettet –«
    »Verzeih – ich hätte mich nicht als Spieldose aufziehen lassen – mein eigenes Lied hätte ich vorgebracht. Daraus ist vorläufig nichts geworden. Und so habe ich ein anderes Mittel versucht, gehört zu werden –«
    »Ja, durch die Zeitung – ich habe Deinen Artikel vom vorigen Sonntag gelesen. Was Du sagst, ist ja alles wahr, aber –«
    »Wenn etwas wahr ist, dann soll's gesagt werden – dann gilt kein ›aber‹ –«
    »Das gebe ich zu. Mein ›aber‹ war nicht gegen Dich gerichtet, sondern gegen die Mitwelt: die will keine Wahrheit hören, die sie aus ihrer Bequemlichkeit reißt.«
    »Die immer schwerer werdenden Rüstungslasten, die ewige Unsicherheit, der allgemeine Dienstzwang, der als Damoklesschwert drohende Weltkrieg das nennst Du bequem?«
    »Bequem ist alles Altgewohnte – denn man ist danach eingerichtet, man hat seine Interessen daran geknüpft ... In unserer auf die Kriegsidee aufgebauten Ordnung ist der Friedensprediger der schlimmste Störenfried. Aber – schon wieder sag' ich aber – Du hast rechtgetan, Dein Artikel freute mich. Und je mehr die anderen darüber räsonnierten, desto mehr freute er mich. Wenn Du meinen Rat hören willst: verharre, verharre auf diesem Pfad. Das Verharren ist wohl immer das schwierigste ... doch ich mute Dir diese Kraft zu.«
    »Danke. Die Standhaftigkeit wird mir allerdings nicht leicht gemacht. Darüber wollte ich Dir klagen.«
    »Wer oder was entmutigt Dich ... die Zweifler?«
    »Die fremden Zweifel nicht – ein eigener.«
    »Wie – Du glaubst nicht fest an das, was Du sagst?«
    »Doch. Meine Überzeugung ist eben so tief wie klar. Ich zweifle nur an der Möglichkeit, die Massen aus ihrer Apathie zu wecken. Diese Massen sehe ich vor mir liegen, wie ein Felsgebirge. In der Hand halte ich eine Lanzette – und damit sollten nun die Felsen von der Stelle gerückt werden? Und selbst, wenn ich statt einer Lanzette die Lunte zu einer Mine in Händen hätte – an welcher Stelle des Felsens sollte man ihn sprengen? Ohne Bild: wo soll man anfangen, um Vorurteile wegzuwälzen – sie sind ja alle so eng miteinander verwachsen. Und wo soll man anfangen, um das Unglück der Welt zu verscheuchen? Dieses Unglück heißt ja nicht nur Krieg – es heißt das Elend, es heißt Geistesnacht, Herzensroheit, Lasterhaftigkeit – diese drei verteilt in allen Klassen – daher auch vom Klassenkampf keine Erlösung zu hoffen ist. Ich meine, daß –«
    Rudolf wurde unterbrochen. Der Diener meldete neuen Besuch.
    »Herr Hofrat Doktor Bland.«
    »Ich lasse bitten.«
    Kolnos stand auf, um den Eintretenden – ein behäbiger, sehr ernst blickender Fünfziger – mit freundlichem Händedruck zu empfangen. Dann stellte er vor: »Reichsratsabgeordneter Doktor Bland – Graf Dotzky. Die Herren sind ja Kollegen ... das heißt, nicht Kollegen, sondern etwas mehr noch: Gesinnungsgenossen.« Kolnos erläuterte diese Bezeichnung, indem er darauf hinwies, daß Doktor Bland – eine der »Säulen« der liberalen Partei – sich der im

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