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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Übergewichts ... gerade so wie Klerikalismus im Verhältnis zu Kirche oder Religion. So bekämpft unsere Partei auch den Klerikalismus – nicht aber die Kirche und die Religion. Diese muß dem Volke erhalten werden, ebenso wie das Militär dem Staat erhalten bleiben muß.«
    Kolnos unterdrückte die Bemerkung »besonders wenn man einen Sohn in der Wiener-Neustädter und den anderen in der Weißkirchener Militärschule hat.« Diese Ideenverbindung äußerte sich nur in der Frage:
    »Wie geht's Ihren beiden Buben, Herr Hofrat?«
    »Ich danke – es geht ihnen gut. Die Bengel freuen sich allerdings schon riesig auf ihr Portepee ... die wollten von Antimilitarismus nichts hören! Der älteste wird schon künftigen Sommer ausgemustert – das wird ein Stolz sein, namentlich für seine Mama.«
    Rudolf stand auf.
    »Lieber Freund«, sagte er zum Hausherrn, »ich muß jetzt leider mich empfehlen.«
    Aber Kolnos ließ den jungen Mann nicht fort. Und nachdem man noch eine weitere Viertelstunde über verschiedene Dinge gesprochen, wobei Rudolf äußerst zurückhaltend und wortkarg blieb, war es der Hofrat, der sich zum Gehen erhob und Kolnos versuchte nicht, ihn zurückzuhalten.
    Und nachdem er draußen war:
    »Ich habe Dir angesehen, mein lieber Rudolf, daß Du Dich geärgert hast. Warum widersprachst Du nicht?«
    »Eben deshalb. Nichts schnürt mir so die Kehle zu, wie Ärger. Außerdem hätte ich etwas sagen können, was den Mann von seinen eingefleischten Ansichten abgebracht hätte? Vor einem großen Auditorium, oder im Abgeordnetenhaus würde ich ihm vielleicht entgegnet haben, dem Auditorium zulieb ober zum Fenster hinaus... aber hier – wozu? Er würde es mir dennoch nicht glauben, daß er ein ganz gewöhnliches Muster der fortschrittslähmenden Sorte des Fortschritts-Philisters darstellt – den Typus des freiheitsverleugnenden Liberal-Kompromißlers. Mir graut davor... da lobe ich mir die konsequent Konservativen, die resolut Retrograden – die marschieren doch wenigstens in der Richtung, wo ihr verkündetes Ziel liegt. Aber diese Sorte, die trompetet hinaus, daß sie links stürmen, dabei schielen sie nach rechts und rühren sich nicht vom Fleck, halten noch die wirklich Linkswollenden am Rockschößel zurück ... und wie weise sie sich dabei vorkommen, diese Freiheitshelden die sich so schön unter alle vorhandenen Fesseln und Joche zu ducken wissen... Sie nehmen die Feile wohl zur Hand, sie gebrauchen sie aber nicht: der sägende Lärm könnte allerhöchste Gehörnerven verletzen, und einstweilen – unter den gegebenen Umständen – sind die Fesseln und Joche ganz nützliche Instrumente... vielleicht ein ganz klein wenig lockerer – aber vorläufig müssen sie dem Volk noch erhalten bleiben.«
    Kolnüs lachte. »Wie Du Dich ereiferst! ... Ich will ja die Bland und Konsorten nicht in Schutz nehmen, aber gibst Du nicht zu, daß man, auch wenn man aufrichtig vorwärts will, doch etwas langsam gehen soll? Evolution – das lehrt uns die Natur – ist ein gar langsamer Prozeß – –«
    »Als ob wir das nicht wüßten! Wir wissen aber auch, daß das winzige Von-der-Stelle-rücken des Ganzen das Resultat der größten Eile und größten Kraftanspannung der einzelnen Teilchen ist. – Übrigens, ich kann mich all den Anpassern nicht anpassen – ich werde mit den Leuten brechen, offen brechen müssen!«

XIII.
    Aus Marthas Tagebuch
    Im Januar 1892.
    »Wenn die Sonne untergegangen ist, so ist die Geschichte des Tages vorbei.« Mit diesen Worten begründete ich Rudolf gegenüber meinen Entschluß, nicht weiter an meiner Lebensgeschichte zu schreiben.
    Dennoch habe ich mir neuerdings ein Heft hergenommen, um Eintragungen zu machen. Nicht mein Schicksal soll ja den Mittelpunkt dafür abgeben, sondern das Schicksal und – soweit ich Einblick darein habe – das Seelenleben meiner Kinder. Meine Kinder sind nicht glücklich, fürchte ich. Als ich mein Buch abschloß, da war so eine Lebenswende eingetreten, die – in Romanen und auf der Bühne – wie der Ausgangspunkt einer ungetrübten gesegneten Existenz erscheinen: glänzende Verhältnisse, Geburt eines Erben, Verlobung. Ich ließ mich selber davon täuschen und nannte das gesicherte Glück meiner Kinder das Licht, das meinen Lebensabend verklären sollte.
    Ach, um meinen Abend handelt es sich ja nicht. Ich beklage nur, daß ihr Mittag nicht so wolkenlos schön ist, wie ich ihn damals kommen sah.
    Meine arme Sylvia ... ihr Mann betrügt sie – das weiß die ganze

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