Martha's Kinder
angetan. Die Ernüchterung, welche durch Tonis brutale Art zu lieben so jäh und schmerzlich auf ihren Rausch gefolgt war, hatte ihr die sinnliche Seite der Liebe verekelt und der völlige Mangel an Idealität, den ihr Gatte im ehelichen Verkehr gezeigt, machte ihr nun die bloß ideale Ekstase ihrer neuen Liebe doppelt wert.
Daß echte Liebe schließlich nach beiden Seiten hin nach Vollendung und Erfüllung drängt, das wußte sie nicht. Sie war, so sehr die Natur sie zur » grande amoureuse « geschaffen, in Liebesdingen nicht erfahren. So ließ sie sorglos und still beglückt es sich genügen, daß eine reine, von keinem Leidenschaftssturm gepeitschte ruhige Flamme ihr Herz durchwärmte. Nicht nur im bildlichen Sinne fühlte sie diese Wärme, sondern fast wie etwas Greifbares, physisch Vorhandenes. Es stieg in ihrer Brust auf – beim Erwachen, beim Einschlafen, oft unter Tags, wenn sie an etwas ganz anderes dachte. Wie ein plötzlicher heißer Strom, der vom Herzen zur Kehle flutete, den Atem beklemmend – in unnennbarer Süße... Nicht Verlangen war das, sondern Besitzesfreude. Als einen reichen, lebenserhöhenden, sie mit Stolz erfüllenden Besitz empfand sie in solchen Augenblicken, daß sie liebte – einen herrlichen Menschen liebte, von dem auch sie – seit langem schon – geliebt war. Und wenn sie so an ihn dachte, da erschien vor ihrem Innern weder sein Gesicht noch seine Gestalt, sondern nur das abstrakte Bild seines hochfliegenden Geistes, seiner schönheitsgewaltigen Kunst. Gegen eine solche Liebe, durch die sie sich nur gehoben und geadelt fühlte, brauchte sie doch nicht anzukämpfen? ...
Sie hatte sich alle seine Werke kommen lassen und genoß jede gelungene Stelle darin, wie ein Durstender eine saftige Frucht genießt. Der Wohllaut der Verse, die sie sich laut vorsagte und die sie bald auswendig kannte, wiegte sie ein wie Musik, jeder neue, schöne Gedanke war ein Rechtstitel mehr auf ihre stolze Liebe. Nicht nur in Reinheit – nein, in Größe konnte man da durchs Leben gehen!
Äußere Umstände traten hinzu, um die Gefahr hintanzuhalten, daß die so himmelhoch gespannte – im eigentlichen Sinne des Wortes überspannte Leidenschaft der Liebenden in eine irdische umschlage. Fast nie trafen sie sich allein. Notwendige Reisen – Sylvia zu ihrer erkrankten Schwiegermutter, Hugo zur Probe seiner Schauspiele nach deutschen Städten – und andere Zufälle mehr brachten lange Trennungen, und so kam es, daß jetzt, nach so langer Zeit, der Roman noch schwebte – ohne Bruch und ohne Vereinigung.
Das Verhältnis Delnitzkys mit der schönen Sängerin dauerte fort. Es war ihm zur Lebensgewohnheit geworden. Da er weder vor der Welt und seinen Verwandten, noch auch vor seiner Frau – von der er wußte, daß sie davon unterrichtet war – diese Liaison zu verbergen suchte und da die anderen die Sache schweigend, wie etwas Selbstverständliches, hinnahmen, so war ihm allmählich zu Mute geworden, als lebte er da in einer Art zweiter konzessionierter Ehe, und daß er wenigstens darin als treu und standhaft sich erwies, das rechnete er sich selber zum Verdienste an.
Zudem hatte ihm die Geliebte einen Sohn geschenkt und er liebte das kleine Bürschchen – mit ihm zu spielen, war ihm eine wahre Lust. Der Gedanke an eine Scheidung von Sylvia war ihm wohl manchmal aufgestiegen – da konnte er die andere heiraten und dem kleinen Toni seinen Namen geben. Was diesen Gedanken aber nicht recht aufkommen ließ, war die Vorstellung der für einen österreichischen Aristokraten recht unerquicklichen und umständlichen, zu einer Scheidung erforderlichen Formalitäten: Religionswechsel, Naturalisierung in Ungarn und vor allem der »Eklat«. Dieser Begriff hatte für ihn etwas besonders Abschreckendes. So flößte ihm das, was sein Schwager Dotzky getan, das Aufgeben seiner Stellung, um unter die Sozis zu gehen – wie er Rudolfs Handlung bezeichnete – einen an Verachtung grenzenden Widerwillen ein. Natürlich wurde er im Klub und wo er sonst hinkam, mit allerlei Fragen oder Kritiken über Rudolfs Vorgehen behelligt. Er sollte den Leuten erklären, wie und warum sein Schwager so Unerhörtes angestellt und was er noch Unerhörteres vorhatte. Aber er ward des Auskunftgebens bald müde und sagte nur mehr mit ärgerlichem Achselzucken: »Ach, bitt' Euch, laßt mich mit dem Querkopf in Ruhe ... mich gehen seine Extravaganzen nichts an.« – Er versuchte auch, seiner Frau den Umgang mit Rudolf zu verbieten. Diesen
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