Martha's Kinder
so werde ich ihn erteilen und sicher in der Richtung, in der ich ihre Ruhe und ihre Ehre gesichert sähe ... aber ungebeten werde ich mich nicht als Sittenpredigerin aufdrängen. Sie ist der mütterlichen Autorität entwachsen. Ich bin ihre Freundin – mehr nicht.«
»Meine Freundin bist Du nicht –«
»In aller Aufrichtigkeit: nein. Du hast mein Kind nicht glücklich gemacht... Du betrügst sie vor aller Welt – wie soll sie Dir da liebevoll zugetan sein?«
»Es ist ja auch nicht nötig, daß Du meinetwegen einschreitest, sondern ihr zu Nutz und Frommen. Wenn sie sich kompromittiert, so wird es ihr Schaden – und wenn sie sich vergißt, ihr Unglück sein. Denn ich lasse mir nichts gefallen. Mein Name darf nicht in den Schlamm gezerrt werden.«
Er war dunkelrot im Gesicht und die Stirnadern waren angeschwollen. Martha empfand etwas wie Furcht: dieser Mann wäre imstande, ihrer Sylvia ein Leid zuzufügen. Die vorhin angeregte Idee einer Scheidung nahm die Form eines Wunsches an. Freilich, kein schönes Los, eine geschiedene Frau zu sein. Aber wenn es gilt, einer Gefahr zu entrinnen, so kann man nicht erst fragen, ob der Fluchtpfad in eine liebliche Gegend mündet.
»Ich hätte mir den Besuch bei Dir ersparen können«, fuhr Delnitzky im selben zornigen Tone fort. »Auf den Einfluß, den Du auf Deine Kinder übst, brauchst Du Dir wirklich nicht viel einzubilden. Über den Rudi und sein Gebahren wird ja genug gespottet und geschimpft. Daß es geheißen hat, er würde aus der Reserve fortgejagt, hast Du wohl erfahren?«
Martha warf den Kopf zurück. »Du versuchst, mir weh zu tun. Was zwischen Rudolf und dem Kriegsminister vorgefallen, weiß ich – ich besitze meines Sohnes volles Vertrauen und ich vertraue auch ihm. Was er tun wird, wird recht getan sein. Das Gebiet seiner Pflichten liegt höher als Du weißt.«
»Verrückt ist er einfach – und Ihr alle miteinander.«
Sie stand auf: »Anton, ich ersuche Dich, mich zu verlassen. Du hast kein Recht, in meinem Hause mich und meine Kinder zu insultieren.« Sie sagte, es mit ruhiger und gar nicht erhobener Stimme, doch war sie kreidebleich geworden.
»Oh, ich gehe ja ohnehin«, antwortete der Schwiegersohn.
Und ohne zu grüßen eilte er zur Türe hinaus und schlug diese heftig hinter sich zu.
XXIV.
Sylvia saß in einer Parkettloge des Burgtheaters – allein. Sie hielt den Zettel in der Hand.
Zum ersten Male:
Der tote Stern.
Märchenspiel in 4 Aufzügen von Hugo Bresser.
Am selben Morgen hatte sie eine Sendung des Dichters aus Dresden erhalten, wohin er sich begeben hatte, um der Generalprobe seines Stückes beizuwohnen, das dort gleichzeitig mit Wien aufgeführt werden sollte. Doch war ihm die Burgtheater-Premiere die wichtigere und mit dem Sechsuhrzuge wollte er heute hier eintreffen.
In jener Sendung war die Sammlung der Gedichte »An sie« enthalten. »Ich wollte Ihnen diese Lieder erst schicken«, schrieb er dazu, »wenn ich zu Weltruhm gelangt wäre, damit die Huldigung Ihrer würdiger sei. Doch nein – so lange will ich nicht warten – wer weiß, ob ich je zu Weltruhm gelange ... Und nicht die Außenwelt – Sie habe ich mir zum Richter eingesetzt. Was ich in den Augen jener bin, die ich besinge – das entscheidet. Und diese könnte mich nicht ganz beurteilen, wenn sie von meinen Dichtungen nicht kennte, was meiner innersten Seele entrungen, was mit meinem Herzblut geschrieben ist – was ich schreiben mußte.«
Mehrere Stunden des Tags hatte Sylvia mit lesen und wieder lesen der zwanzig Gedichte zugebracht, und sie stand von dieser Lektüre auf, so leidenschaftlich aufgewühlt und süß erschöpft, als wäre diese Stunden über der Dichter selber zu ihren Füßen gelegen. So geliebt zu sein, so anbetungsvoll, so schmerzlich, so zärtlich und heiß – das hätte sie sich niemals träumen lassen.
Das Theater war noch leer – es fehlten beinahe zwanzig Minuten bis zur angesetzten Anfangszeit. Sylvia hätte um alles in der Welt nicht das erste Aufziehen des Vorhangs, das erste Stimmen der Orchesterinstrumente versäumen wollen. Daß dieser Theaterabend zu den wichtigsten, angst- und doch zugleich genußreichsten ihres Lebens gehören würde, fühlte sie, und so wollte sie ihn ganz und gar ausnützen, auch die Vorstimmung kosten – auf dem Kampfplatze selber. Nie noch im Leben – selbst an ihrem Hochzeitstage nicht – war sie so erregt gewesen, wie an diesem Abend. So muß einst den Rittersfrauen zu Mute gewesen sein, die von ihrer Galerie
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