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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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erschien nicht. In seinem Namen dankte der Regisseur.
    Sollte er den Zug versäumt haben, oder verschmähte er es, sich zu zeigen? Sylvia empfand es als eine Erleichterung, daß er dem Hervorruf nicht gefolgt war. Die Schöpfung war dem Publikum preisgegeben, zu Beifall oder Tadel – nicht der Schöpfer. Nur sein Geist schwebt über dem Werke, nicht seine Person hat sich davor zu stellen. Wie kommt er dazu, sich vor jenen zu verbeugen, die er beschenkt hat, warum soll er dafür danken, daß sie ihm dankbar sind?
    Aus diesen Gedanken wurde Sylvia durch Hugos Vater gerissen, der in die Loge trat. Sie reichte ihm die Hand:
    »Ich wünsche Ihnen Glück,« sagte sie, – »es ist ein Erfolg.«
    »Das kann man noch nicht wissen,« antwortete der alte Herr. »Der erste Akt ist gut ... aber ein Erfolg entscheidet sich erst am Schluß ... Warum ist die Baronin Tilling nicht gekommen?«
    »Mama ist unwohl – sonst wäre sie schon hier ... sie hatte sich schon lebhaft auf diese Vorstellung gefreut.«
    »Und Ihr Gatte?«
    »Ist heute in der Oper.«
    »Ah – ja.« Ein Ausdruck des Ärgers huschte über Doktor Bressers Gesicht.
    »Ihr Sohn sollte heute aus Dresden zurückkommen und nun –«
    »Er ist zurückgekommen und er ist im Theater – ganz im Hintergrund der Direktionsloge verborgen. Er will sich nicht zeigen.«
    Die Direktionsloge lag der ihrigen schräg gegenüber, also konnte er sie sehen – der Gedanke berührte sie angenehm. Und daß er, wie sie es vorausgesetzt, es vorzog, sich dem Applaus zu entziehen – in Bescheidenheit und zugleich in Stolz – das war ihr auch eine Genugtuung.
    »Sie müssen doch große Freude an Ihrem Sohn haben, Doktor Bresser.«
    »Mein Gott, wenn ich ihn glücklich wüßte ... aber das Dichterhandwerk scheint ihn stark herzunehmen – er ist oft von einer Schwermut ... als ob die Liebe zu den Musen eine unglückliche Liebe wäre.«
    Sylvia wußte wohl, wer seinen Liebesgram verschuldete. Jene Schwermut war in einige der zwanzig Sonette gelegt, die sie heute zum erstenmal gelesen, von denen sie aber schon manche Strophe auswendig wußte.
    Zum zweiten Male hebt sich der Vorhang. Jetzt war Sylvia gespannter wie zuvor, denn was nun folgen sollte, war ihr neu. Immer hatte Bresser sich geweigert, ihr mitzuteilen, was die übrigen Akte enthielten; und zwar aus dem Grunde, damit sie einst ganz unbefangen beurteilen könne, wie die Dichtung von der Bühne herab wirke. Sie hatte das Gefühl, als sollte nun das Stück ihr allein vorgespielt werden; die anderen waren nur so nebenher zugelassen – als Richterin war nur sie berufen. Ob ihr »der tote Stern« gefallen werde, ob sie gespannt, gerührt, erhoben, befriedigt sein würde, das war die Frage, die den in der Loge drüben verborgenen Verfasser ganz erfüllte – das wußte sie.
    Der zweite Akt spielte im »Garten des Schmerzes«. So hell und lieblich die Bilder des ersten Aufzuges gewesen, so düster und erschütternd waren die Vorgänge, die sich jetzt abspielten. Die Sprache hielt sich auf gleicher Höhe, und in dramatischer Steigerung bewegte sich die Handlung weiter. Als der Vorhang zum zweitenmal fiel, erhob sich wieder lauter, langanhaltender Beifall. Hätte sich aber auch keine Hand im Saale gerührt, Sylvia hätte doch gewußt, daß dieser zweite Akt vollendet schön war. Daß aber die Bewunderung der Menge dem geliebten Manne zuflog, erfüllte sie mit stolzem Hochgefühl. Ja, sie war stolz auf ihn und – wenn sie an die Widmung seiner zwanzig Lieder dachte, – stolz auf sich. Ein bisher ganz unbekanntes Glücksgefühl durchströmte sie. Der Theatersaal war wie in einen Festsaal verwandelt und sie fühlte sich als des Festes heimliche Königin.
    Sie blickte im Hause umher. Nur wenige ihrer Bekannten waren da. Noch waren viele Mitglieder des Hochadels auf ihren Besitzungen – man schrieb Dezember – und das Interesse für literarische Ereignisse ist in diesen Kreisen überhaupt kein so reges, als daß man vom Lande herfahren würde, um der Aufführung eines neuen Stückes, von einem neuen Autor noch dazu, beizuwohnen. Ja, wenn es » theatre paré « gewesen wäre, zu Ehren irgend einer fremden Fürstlichkeit – das wäre etwas anderes. Dazu kommt man schon hergereist; es ist aber auch gar zu schön: die vielen Uniformen im Parkett, die Toiletten und den Schmuck in den Logen und dann am folgenden Tag in allen Blättern die Liste der Anwesenden, bei der kein glänzender Name, keine offizielle Persönlichkeit fehlt. Da soll man doch

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