Martha's Kinder
auf den Turnierplatz herabsahen, wo der von ihnen still und heiß Geliebte entweder siegen oder in den Staub fallen sollte ...
Ein Viertel vor sieben. Das Publikum fängt an, die letzten Parkettreihen und die höchste Galerie zu füllen. Noch ein paar Minuten und die Musikanten kommen zum Orchestertürchen herein und setzen sich an ihre Pulte. Die Logen sind noch leer. Sylvia späht nach der Direktionsloge ... wo mag Hugo sein? Man sieht ihn nicht ... vermutlich hinter dem Vorhang ... wenn es ihm nur einfiele, jetzt auf einen Augenblick zu ihr zu kommen – mit einem Händedruck hätte sie ihm Mut machen wollen und selber ermutigt werden – sie hatte vielleicht größere Angst als er ...
Fünf Minuten vor sieben. Jetzt füllt sich das Parkett, auch in den ersten Reihen und in den Logen beginnt es, sich zu regen. Die Galerien sind bis auf den letzten Platz gefüllt und im Stehparterre sind die Zuschauer dicht gedrängt.
Punkt sieben. Der Kapellmeister gibt das Zeichen und das Orchester setzt ein. Zwei Erzherzöge nehmen am Rand der Inkognitologe Platz und in der Kammerherrenloge zeigen sich ein halbes Dutzend uniformierter Herren und Hofdamen.
Erwartungsvolle Spannung scheint über dem ganzen Haus zu schweben – Premièrenstimmung. Der Vorhang rollt auf. Sylvias Herz pocht und sie atmet schwer. Den ersten Akt kennt sie ja, hat sie ihn doch selber vorgelesen; sie weiß noch, wie entzückt sie von der Schönheit der Sprache gewesen – aber würde das, hier auf der Bühne, so zur Geltung kommen?
Von der ersten Szene, durch drei oder vier Minuten, verstand sie kein Wort. War es, weil ihr das Blut im Kopfe tobte, oder weil man immer erst eine Zeitlang an die Stimmen, die von der Bühne dringen, sich gewöhnen muß, bis man die Worte auffaßt und bis man sich überhaupt den Vorgängen dort gefangen gibt? Und die Leute da herum, die gleichgültigen Leute, und die nörgelnden Rezensenten, diese ganze? einem Neuling gegenüber instinktiv widerstrebende Menge – wann wird es dem Dichter gelingen, die mitzureißen, wenn sogar sie, seine glühendste Bewunderin noch dasaß, verständnislos, unaufgetaut?...
Aber es währte nicht lange und die Reden und Gegenreden der Schauspieler drangen deutlich und lebendig ins Haus. Sylvia erkannte einige der Verse, die ihr bei jener ersten Lektüre aufgefallen waren, und sie hatte die Genugtuung, daß Stellen, deren Schönheit sie frappierte, auch vom Publikum aufgefaßt zu werden schien. Nicht etwa durch laute Bravos bekundete sich das, denn damit halten die kritischen Zuschauer in den Eingangsszenen einer Erstaufführung zurück; es ist nur wie ein kaum hörbares Aufseufzen – vielleicht ist es nicht einmal ein Laut, sondern nur ein Zucken jenes elektrischen Rapports, der eine Menge den gleichzeitig erweckten Beifall empfinden läßt.
Mit beruhigtem, immer sicherer werdenden Genuß gibt sich Sylvia jetzt dem Bühnenspiel gefangen. Zu der Süßigkeit der Versmelodien, zu der Pracht der hinwogenden Rede, die sie schon beim Lesen so entzückt hatte, war nun auch der Zauber dargestellten Lebens hinzugekommen. Die Träger der Hauptrollen Fritz Krastel und Stella Hohenfels – waren die verkörperte Poesie. Das eigentümliche Silbergeriesel des Hohenfelsschen unvergleichlichen Organs verlieh den Versen neben ihrer Gedankentiefe noch den sinnlichen Reiz des Klanges. Und dazu: was es zu schauen gab! Das Stück war ein Märchenspiel, also waren der Phantasie des Dichters keine Grenzen gesetzt. In verschwenderischer Üppigkeit boten die vorgeführten Bilder, was ein Maler nur erträumen kann – an Farbenglut und Formenpracht. Nach der ersten Verwandlung war der Schauplatz ein Zaubergarten. Eine Fee, eine wirkliche Fee, hatte der Regie geholfen ein Bild zu schaffen, das für das Auge ein Rausch war – die Fee Elektrizität. Mit ihren unwahrscheinlichen Leuchteffekten, ihren violetten, blauen und rosa Feuern, mit ihren Siiberlichtern und Goldgluten und Lavaflammen, tauchte sie die Gestalten und Dekorationen in immer neue und magische Glanzwogen; eine Flora, wie sie noch kein irdisches Auge gesehen, wucherte in diesem »Garten des Glücks,« in dessen Hintergrund ein diamantener Tempel ragte. Die Lust des Schauens beeinträchtigte aber nicht die Lust des Hörens, denn die Dichtung erlahmte keinen Augenblick. Auch da glitzerte es von Witz und strahlte in Pathos. Als der Vorhang fiel, brach das Haus in lauten Beifall aus.
»Bresser, Bresser,« rief man von mehreren Seiten. Aber Bresser
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