Martin, Kat - Perlen Serie
lassen."
Phoebe gab ihr den Brief und blieb dann unschlüssig stehen, konnte ihre Neugierde aber kaum verbergen.
„Das wäre dann alles, Phoebe."
„Ja, Mylady."
Ihre Kammerzofe schien enttäuscht zu sein, nicht mehr zu erfahren, und Grace wartete, bis Phoebe das Zimmer verlas- sen hatte, bevor sie den Brief öffnete. Sofort erkannte sie die Handschrift, die ihr von früheren Briefen vertraut war, und verspürte eine tiefe Besorgnis.
Meine liebe Grace,
ich habe mich lange nicht bei dir gemeldet, da ich dich nicht weiter in meine Schwierigkeiten hineinziehen woll- te. Leider ist auch nach meiner Flucht aus dem Gefängnis jeder Versuch, meine Unschuld zu beweisen, gescheitert, und ich muss dich erneut bitten, mir zu helfen. Ich habe erst kürzlich erfahren, dass du einen sehr einflussreichen Mann geheiratet hast, und hoffe, dass du ihn für mein An- liegen gewinnen kannst. In fünf Tagen werde ich in Lon- don eintreffen und erwarte dich um zwei Uhr in der „Rose
Tavern" in Russell Street, Covent Garden. Wenn du nicht kommst, weiß ich, dass du entschieden hast, schon genü- gend für mich getan zu haben. Aber dennoch hoffe ich, dich zu sehen.
Mit der größten Hochachtung vor deinem Mut dein dich liebender Vater
Das Papier in ihrer Hand zitterte. Die Behörden hatten also Recht gehabt, und ihr Vater hielt sich immer noch in England auf. Er hatte in diesem Brief erneut seine Unschuld erklärt und schien dies auch beweisen zu wollen. Und wie Tory war- nend vorhergesehen hatte, bat er Grace nun um Hilfe. Was sollte sie nur tun?
Ihr Vater, wo immer er sich in den letzten Monaten aufge- halten haben mochte, schien nur wenig über seine Tochter erfahren zu haben. Und er ahnte wohl kaum, dass ihr Mann einst Captain der Sea Witch gewesen war - geschweige denn, dass Ethan den Viscount an den Galgen bringen wollte. Auch glaubte sie nicht, dass er wusste, dass seine Tochter schon bald ein Kind erwartete.
Was um alles in der Welt sollte sie jetzt machen?
Wenn nur Tante Matilda hier wäre! Dann könnte ihre Tante sich mit dem Viscount treffen und versuchen, ihm zu helfen. Die letzten Briefe aus dem Norden hatten jedoch berichtet, dass Lady Humphrey seit einigen Monaten kränklich war und aus diesem Grund auch nicht nach London hatte reisen kön- nen.
Natürlich könnte Grace auch Victoria um Hilfe bitten, sie wollte ihre Freundin indes nicht unnötig in Gefahr bringen. Bloß konnte sie ihren Vater nicht im Stich lassen! Er behaup- tete, unschuldig zu sein. Vor dem Verfahren gegen ihn hatte Grace alles über seinen Fall gelesen, was sie in die Finger be- kommen konnte, aber weder für seine Schuld noch für seine Unschuld hatten sich eindeutige Beweise finden lassen. Das Gericht hatte ihn dennoch für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.
Grace hatte versucht, dies zu verhindern. Und nun hoffte sie, dass sie ein weiteres Mal den Mut aufbringen würde, zu tun, was sie tun musste.
22. KAPITEL
Der Tag versprach kalt und klar zu werden. Der Wind wehte die Blätter über die Straßen, und die Leute, die in der Stadt unterwegs waren, hatten sich dick in ihre warmen Wollmäntel eingehüllt. Während Ethan mit einer Mietkutsche vom Hafen nach Hause fuhr, schien es ihm, als würde der Wind seine Vor- freude noch weiter beflügeln.
Seit Wochen hatte er diesem Tag entgegengesehen und ihn sich unzählige Male vorgestellt. Von dem Moment an, da er mit der Sea Devil aufgebrochen war, hatte er sich nichts so sehr ge- wünscht, wie den Krieg hinter sich zu lassen und nach Hause zurückzukehren ... zu Grace zurückzukehren.
In den langen Monaten, in denen er sich nach ihr gesehnt hatte, war ihm bewusst geworden, dass er sie liebte. Und doch hatte sich an den Problemen, die zwischen ihnen standen, nichts geändert. Er hatte sich geschworen, dass ihr Vater seiner gerechten Strafe nicht entkommen sollte. Sein Ehrgefühl ge- bot ihm, die Suche nach dem Verräter weiter voranzutreiben. Doch das konnte auch bis morgen warten.
Sobald die Kutsche sein Stadthaus erreicht hatte, bezahlte Ethan eilig den Fahrer und hastete die Vordertreppe hinauf. Noch während er die Hand nach dem schweren ankerförmigen Messingklopfer hob, öffnete sich die Tür bereits.
„Lord Belford! Was für eine wunderbare Überraschung. Willkommen zu Hause, Mylord." Baines lächelte. Das geschah äußerst selten, und Ethan erwiderte unwillkürlich das Lä- cheln seines Butlers.
„Es ist schön, wieder hier zu sein, Baines."
„Wir wussten nicht, dass Sie
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