Martin, Kat - Perlen Serie
und selbst der Einfluss eines Dukes oder eines Earls vermochte nichts mehr auszurich- ten. Es gab keine eindeutigen Beweise für die Unschuld des Viscounts - auch Ethan war noch immer nicht frei von allen Zweifeln. Und nachdem die Behörden so viel Zeit und Geld auf seine Ergreifung verwendet hatten, schien die halbe Stadt dem Spektakel der Hinrichtung erwartungsvoll entgegenzuse- hen.
Es war bereits spät, als Ethan sich nach oben zurückzog. Er erwog kurz, seine Frau nicht zu stören, damit sie sich weiter ihrer Trauer hingeben konnte. Doch hatten sie in den vergan- genen Wochen nicht jede Nacht das Bett geteilt? Je mehr er da- rüber nachdachte, desto fester wurde sein Entschluss, dass es Grace nicht gut tun würde, jetzt allein zu sein.
Er legte seine Kleider ab, zog seinen Morgenmantel über und ging in Grace' Schlafzimmer.
Es war still und dunkel dort. Im Kamin brannte kein Feuer, und der Raum war eisig kalt. Lautlos ließ Ethan seinen Mor- genmantel zu Boden gleiten und schlüpfte zu Grace unter die Bettdecke.
„Ich würde gerne allein sein, Ethan."
„Nicht heute Nacht." Seine Stimme klang genauso bestimmt, wie sie es noch von seinen Anweisungen an Bord des Schiffes in Erinnerung hatte. „Heute Nacht werde ich bei dir schlafen, wenn du nicht zu mir kommst."
Er spürte, wie sie sich kurz anspannte. Dann seufzte sie schließlich und gab nach. „Wenn du darauf bestehst."
„Das tue ich." Er zog sie an sich und küsste dann zärtlich ihren Hals. „Schlaf, Liebste. Ich bin bei dir, wenn du mich brauchst."
Einen Augenblick hielt sie sich noch zurück, dann entfuhr ihr ein ersticktes Schluchzen, und sie drehte sich zu ihm um, schlang die Arme um seinen Hals und weinte sich an seiner Schulter aus. Er versuchte nicht, sie zu beruhigen, denn er wusste, dass sie dies brauchte, genauso wie sie ihn brauchte - er war nur froh, in diesem Moment bei ihr sein zu können. Nach einer Weile ließ ihr Weinen nach. Ihr Körper entspannte sich, schmiegte sich weich an den seinen, und kurz darauf war sie tief und fest eingeschlafen.
Ethan wünschte sich, dass auch er Schlaf finden könnte, aber daran war gar nicht zu denken. Morgen früh würde Gra- ce' Vater sterben, und Ethan hoffte vergeblich, dass der neue Tag nie anbrechen würde.
„Was um alles in der Welt hast du vor?"
Grace stand in der Eingangshalle und sah ihren Mann die Treppe hinunterkommen- Wie immer machte ihr Herz bei sei- nem Anblick einen kleinen Sprung. „Ich werde nach Newgate fahren, Ethan. Versuche erst gar nicht, mich davon abzuhal- ten."
Sie spürte, wie seine kraftvolle Ausstrahlung sie in ihren Bann zog und sie von seiner Stärke umfangen wurde, als er ihr seine Hände auf die Schultern legte. „Hör mir zu, Grace. Glaubst du wirklich, dass dein Vater es wollte, dass du ihm beim Sterben zusiehst? Meinst du, dass er dir auf diese Weise
im Gedächtnis bleiben will?"
„Seine Frau wird nicht dort sein - ihr fehlt der Mut dazu. Seine Kinder kommen nicht, weil sie den Skandal fürchten. Ich möchte, dass er weiß, dass es jemanden gibt, der an ihn glaubt, der zu ihm hält und dem er nicht gleichgültig ist." Ethan zögerte. Einen Moment schien es, als wolle er ihr verbieten, mit ihm zu kommen. Dann nickte er jedoch kurz. „Wenn du derart entschlossen bist, werde ich dich begleiten." Grace erwiderte seine Worte mit einem gleichfalls kurzen Nicken. „Danke." Entschlossen schluckte sie die aufsteigen- den Tränen hinunter.
„Bist du sicher, Grace, dass du das wirklich willst?"
„Ich muss dort sein, Ethan. Er ist mein Vater."
Er wandte sich ab und unterhielt sich mit dem Butler. „Mr. Baines, sagen Sie bitte einem der Hausdiener, dass er die Kutsche bringen lässt."
„Wie Sie wünschen, Mylord." Baines warf ihnen beiden einen kurzen Blick zu, und Grace fragte sich, wie viel die Bedienste- ten wohl über ihre Beziehung zum Viscount wissen mochten. Nachdem sie sich bei ihnen bereits nach Peter O'Daly erkun- digt hatte, war ihnen sicher mehr bekannt, als sie preisgeben mochten.
Nur kümmerte es Grace mittlerweile nicht mehr, wer alles davon wusste, dass Viscount Forsythe ihr leiblicher Vater war. Sie war überzeugt, dass er kein Verräter war, und schämte sich seiner nicht. Ethan dagegen hatte sich zunächst Sorgen ge- macht, dass Colonel Pendleton ihren Ausruf im „Bird-in-Hand Inn" gehört hatte und sie durch ihre verwandtschaftliche Be- ziehung zum Viscount verdächtigt werden könnte, bei dessen Flucht geholfen zu haben.
Aber der
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