Martin, Kat - Perlen Serie
ein derbes Seemannslied sangen, sonst schien jedoch niemand an Deck zu sein. Ein letztes Mal sah Grace sich vorsichtig um und stieg dann die letzten Stufen der Stiege hinauf.
„Na, sieh mal einer an, wen wir hier haben!" Willard Cox kam just in diesem Moment um die Ecke. Er warf einen kur- zen Blick auf ihre Kleidung - oder eher ihren Mangel an Klei- dung -, umfasste mit seinen kräftigen Fingern ihr Handgelenk und zog sie an sich. „Wo wollen Sie denn hin?" Seine schwar- zen Augen betrachteten sie unverhohlen, wobei er besonders interessiert das Collier musterte, das sie um den Hals trug. „Und nur in Hemd und Wäsche ..."
„Lassen Sie mich los."
„Tut mir Leid, Miss, das kann ich nicht. Nicht bevor Sie mir ein paar Fragen beantwortet haben." Er griff nach der Kette und ließ die Perlen durch seine Finger gleiten. Seine Augen funkelten dabei mindestens genauso wie die Diamanten des Colliers. „Und? Wollen Sie an Land?"
Sie hob herausfordernd ihr Kinn. „Und wenn dem so wäre?" „Ich könnte Ihnen einen Handel vorschlagen."
„Was ... was für ein Handel?"
„Die Perlen, Miss. Sie geben mir die Perlen, und ich lasse Sie laufen. Ihre Freiheit gegen die Halskette. Ich kann Sie aber ge- nauso gut nachher dem Capt'n übergeben, und der wird dann schon wissen, was er mit Ihnen zu tun hat."
Sie erschauderte. Wenn Ethan herausfand, dass sie eine Flucht versucht hatte, würde er sie womöglich wieder in der Kabine einschließen. Er könnte auch auf schnellstem Wege nach London zurückkehren und sie dort den Behörden über- leben. Und dann würde sie im Gefängnis landen - vielleicht sogar am Galgen.
Dieses Risiko wollte sie nicht eingehen.
Sie sah dem anscheinend zu allem entschlossenen Willard Cox in die Augen und glaubte, dass ihr ohnehin keine andere Wahl blieb. Also versuchte sie, den Verschluss der Kette zu öff- nen, doch der verhakte sich.
„Lassen Sie mich das machen." Er trat hinter sie, öffnete schnell den Verschluss und ließ die Perlen in seine schwielige Hand fallen. „Jetzt können Sie gehen." Seine dunklen Augen leuchteten triumphierend.
„Der Capt'n kann jeden Moment zurückkommen." Cox sah sich nach allen Seiten um, als wollte er sichergehen, dass nie- mand sie beobachtete, dann zog er sie mit sich an die Reling und warf ihr Bündel mit den Kleidern über Bord. „Machen Sie schon, oder ich schmeiße Sie hinterher!" Als sie den finsteren Ausdruck in seinem Gesicht sah, wurde Grace zum ersten Mal klar, dass Willard Cox sicher war, dass sie die Küste nicht le- bend erreichen würde.
Das Blut gerann ihr in den Adern. Sie stieg über die Reling und tauchte in das eisig kalte Wasser - und plötzlich schien ihr die Küste viel weiter entfernt als noch kurz zuvor. Vielleicht hatte Cox Recht, und sie würde ertrinken, bevor sie Land er- reichte.
Aber Grace war entschlossen, es zu schaffen.
Mit langen, gleichmäßigen Bewegungen stieß sie sich kräftig von der Schiffswand ab, zog ihr kleines Bündel hinter sich her und begann, landeinwärts zu schwimmen.
8. KAPITEL
Bucky Green und Shorty Fitzhugh, zwei Matrosen der Sea Devil, legten sich kräftig in die Ruder des Beibootes. Ethan hatte im Heck Platz genommen, während Angus vor ihm auf dem Dollbord saß und durch sein neues Fernrohr sah, das er im Dorf erworben hatte.
„Schon ein Prachtexemplar", bemerkte er nun über das vor Anker liegende Schiff, das draußen in der Bucht leicht auf den Wellen schaukelte. „Der alte Briggs versteht noch was von sei- nem Handwerk."
Dann richtete er das Fernglas wieder auf die zurückliegende Küste und begann die Linse neu zu justieren. Ethan sah seinen Ersten Maat plötzlich die Stirn runzeln.
„Was ist?"
„Irgendetwas bewegt sich auf Land zu ..."
„Lassen Sie mich mal schauen." Ethan nahm das Fernglas und suchte durch die Linse das Meer ab, bis sein Blick auf ei- nen weißen Gegenstand fiel, der sich zielstrebig landeinwärts bewegte. „Da schwimmt jemand - und zieht etwas hinter sich her."
Er gab Angus das Fernglas zurück. „Ich frage mich, wo der Mann wohl herkommt." Beide gleichzeitig sahen sie zum Schiff, als sei ihnen im selben Moment ein Gedanke gekom- men. „Von der Sea Devil? Aber wer sollte denn ...?" Angus sah Ethan fragend an, dessen Miene einen entschlossenen Aus- druck angenommen hatte.
„Wendet das Boot! Wir werden ihr den Weg abschneiden. Ru- dert vierzig Grad steuerbord voraus!"
„Was gibt's denn, Capt'n?", fragte Shorty Fitzhugh, während er mit einer geschickten
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