Martin, Kat - Perlen Serie
blind gemacht, und wenn du nicht aufpasst, wird es dich zerstören. Nie hätte ich geglaubt, dass einmal der Tag käme, an dem ich mich schämen müsste, dein Freund zu sein. Nur wenn du das Mädchen jetzt im Stich lässt
und dich weigerst, deinem Kind seinen ihm zustehenden Na- men zu geben, ist dies das Ende unserer Freundschaft."
Ethan straffte seine Schultern, als Rafe sich von ihm ab- wandte und das Arbeitszimmer verließ.
Nachdem die Tür krachend ins Schloss gefallen war, ließ Ethan sich in einen der Ledersessel fallen, die vor dem Ka- min standen. Die beiden Männer, die er am meisten schätzte, glaubten, dass er im Unrecht war.
Cord liebte er wie einen Bruder, und Rafe, dessen Familie ihren Landsitz unweit von Riverwoods hatte, war seit seinen Kindertagen einer seiner besten Freunde. Und nun fanden beide, dass er sich unehrenhaft verhielt.
Aber seine Freunde waren ja auch nicht an Bord der Sea Witch gewesen! Sie hatten nicht miterlebt, wie Ethan und seine Mannschaft sich eine hoffnungslose Schlacht gegen die Franzosen lieferten ... wie sie gefangen genommen, gefoltert und schließlich umgebracht wurden.
Den Rest des endlos scheinenden Tages verbrachte Ethan da- mit, über die Worte seiner Freunde nachzudenken. Er wusste, dass sie im Grunde Recht hatten - sein Verhalten Grace gegen- über war nicht das eines Gentlemans.
Doch hatte Lord Forsythe sich nicht weitaus unehrenhafter verhalten?
Kurz vor Morgengrauen erwachte Ethan aus einem kurzen, unruhigen Schlaf. Sobald die Sonne aufging, sprang er unge- duldig aus dem Bett. Als er nach seinem Kammerdiener klin- gelte, kreisten seine Gedanken bereits wieder um Grace.
Sie hatte unbeschreiblichen Mut bewiesen, indem sie ver- sucht hatte, ihren Vater zu retten. Nun stand sie vor einer noch größeren Herausforderung, und Ethan war sich sicher, dass sie auch diese bewältigen würde - und zwar allein.
Aber war er wirklich die Sorte Mann, die ihr die Hilfe ver- weigern würde? Konnte er es zulassen, dass sie ein uneheliches Kind auf die Welt brachte, wo er doch wusste, dass er der Vater war?
Ethan atmete tief durch. Ein Entschluss begann in ihm zu reifen, der ihm gestern noch unmöglich erschienen war. Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr von der Sea Devil hatte er wie- der ein Ziel vor Augen. Er wusste, was er zu tun hatte, und er veranlasste sofort die Vorbereitungen für seine Reise.
Er würde Grace Chastain heiraten.
12. KAPITEL
Sie hatten ein vorzügliches Abendessen genossen - Schildkrö- tensuppe, gegrilltes Rebhuhn, in Sahne glasierte Möhren und Erbsen sowie kleine Früchtekuchen zum Dessert. Tante Matil- da aß früher zu Abend, als es in der Stadt üblich war, nur das kam Grace mittlerweile sehr entgegen.
Außerdem hatten sie heute einen Gast gehabt.
Martin Tully, Earl of Collingwood, hatte Anfang der Woche eine kurze Nachricht geschickt und angefragt, ob er ihnen auf seiner Rückreise nach London einen Besuch abstatten dürfe. Daraufhin hatte Grace ihrer Tante die Umstände ihres Kennen- lernens geschildert. Obwohl sie selbst in wenig geselliger Stim- mung war, hatte Tante Matilda auf einer Zusage bestanden. „Ein wenig männliche Aufmerksamkeit wird dir gut tun", meinte sie. „In letzter Zeit wirkst du etwas niedergeschlagen, und vielleicht gelingt es ihm ja, dich wieder aufzumuntern." Daran zweifelte Grace. Den Earl zu sehen würde sie nur an besagten Abend auf der Lady Anne erinnern - und an alles, was sich danach ereignet hatte. Sie würde wieder an Ethan denken müssen, in dem sie mittlerweile nicht mehr den Mann sah, den sie liebte, sondern den gewissenlosen Schurken, der sie ruiniert hatte. Es verging kein Tag, an dem sie ihn nicht min- destens dreimal zur Hölle wünschte.
Dennoch fügte sie sich dem Wunsch ihrer Tante und antwor- tete dem Earl, dass er gerne in Humphrey Hall vorbeikommen könne, wenn sein Weg ihn nach Scarborough führe. Heute Nachmittag war er bei ihnen eingetroffen.
Er sah besser aus, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte, seine hellbraunen Haare waren kurz geschnitten, und er trug sie im Brutus-Stil, der gerade in Mode war. Oft habe er an sie gedacht, seit sie von Bord des Schiffes geholt worden war, er- klärte er, aber der Kapitän habe ihnen versichert, dass alles nur ein Versehen gewesen und sie wenig später sicher bei ihrer Tante eingetroffen sei.
Sowohl Grace als auch der Earl wussten nur zu gut, dass dies nichts daran änderte, dass ihr Ruf von dem Moment an
ruiniert worden war, als sie in
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