Martin, Kat - Perlen Serie
schon von früheren Besuchen mit ihrer Tante, und beim ersten Mal war sie über Elvira Tweeds Reichtum überrascht gewesen, denn Seacliff war das prächtigste Anwesen an der nördlichen Küste Yorkshires. Das Haus hatte über fünfzig Schlafzimmer, eine gut sortierte Bibliothek, verschiedene Musikzimmer und un- zählige Salons und Wohnräume.
Das Hochzeitsbankett wurde im Goldenen Salon gegeben, einem prunkvollen Raum, der von schwarzen Marmorsäulen, glänzenden Marmorböden, schwarz-goldenen Stoffen sowie orientalischen Vasen und Teppichen beherrscht wurde. Durch eine Reihe hoher Fenster konnte man direkt auf das Meer hi- naussehen.
Während ihre Tante und Lady Tweed sich freundlich mit Angus unterhielten und Ethan mit dem Pfarrer und dessen Frau sprach, ging Grace zu Freddie hinüber, der von dem Aus- blick ganz gebannt war.
Das Meer erstreckte sich weit bis zum Horizont, und an ei- nem verhangenen Tag wie diesem wirkte es wie eine endlose graue Fläche mit einzelnen weißen Schaumkronen. Dunkle Wolken, die Regen ankündigten, hingen dicht über dem Wasser,
und Grace schien es, als passe sich das Wetter zunehmend ihrer Stimmung an.
Sie wandte sich vom Fenster ab, versuchte ihre Gedanken auf vergnüglichere Dinge zu richten und lächelte Freddie an. „Es freut mich, dass der Captain dich mitgebracht hat."
Freddie grinste. „Wir wohnen ja jetzt auch bei ihm - Schoo- ner und ich. Ich werde sein Stallbursche."
„Das ist ja wunderbar, Freddie! Du arbeitest also im Haus des Captains in London?" Wie wenig sie über den Mann wusste, den sie geheiratet hatte! Nicht einmal sein Haus kannte sie. Wenn sie an ihn gedacht hatte, hatte sie ihn immer in seinen eleganten Privaträumen an Bord der Sea Devil vor sich gesehen.
„Ja, in London, Miss ... äh, ich meine, Mylady. Ich und Schooner haben ein richtig schönes Zimmer direkt über dem Kutschenhaus."
„Dann werden wir uns ja wirklich häufig sehen, ganz wie du einmal gesagt hast."
„Nein, ich fürchte nicht, Mylady. Der Capt'n will Sie gar nicht nach London bringen, sondern nach Belford Park. Das ist sein Haus auf dem Land ... soll sehr schön sein."
„Das denke ich mir."
Sobald er Ethan in ihre Richtung kommen sah, entschul- digte Freddie sich, stützte sich auf seine Krücke und humpelte eilig zu dem üppigen Buffet hinüber, das auf einem leinenbe- deckten Tisch entlang der Wand angerichtet worden war. Ethan blieb neben ihr stehen. „Geht es dir gut? Du siehst et- was erschöpft aus."
„Ich bin ein wenig müde. Es war alles recht anstrengend."
„Ja, das stimmt allerdings."
„Freddie hat mir erzählt, dass wir gar nicht nach London fahren."
„Nein. Wir werden in Boston von Bord gehen, das ist ein klei- ner Hafen etwas weiter südlich. Dort mieten wir eine Kutsche, die uns ins Landesinnere nach Belford Park bringt, das südwest- lich von Northampton liegt. Ich dachte mir, dass du vielleicht ein wenig Zeit zu schätzen weißt, um dich an deinen neuen Stand zu gewöhnen, bevor du nach London zurückkehrst."
„Ja, sicherlich."
„Charles' Witwe lebt in Belford Park. Du wirst sie mögen."
„Da bin ich mir sicher." Allerdings wusste sie nicht, was sie von Ethans Vorhaben halten sollte, vor allem, da er nicht vor-
her mit ihr darüber gesprochen hatte. Andererseits verlangte es sie in ihren momentanen Umständen wirklich nicht beson- ders danach, allzu bald wieder in London zu sein. Was sie da- ran erinnerte, dass sogar Tory sie im Stich gelassen hatte. Aber weil Grace ihre Freundin gut kannte, musste sie ein- fach glauben, dass Tory wohl dachte, sie würde nur zu Grace' Bestem Handeln. Ganz offensichtlich kannte sie Ethan Sharpe nicht so gut wie Grace, sonst hätte sie das Geheimnis ihrer Freundin bestimmt für sich behalten.
Langsam wurde es für das Hochzeitspaar Zeit, sich zurückzu- ziehen. Lady Tweed hatte sie nach oben zu ihrer Suite geführt, einem prachtvollen, ganz in rosefarbenem Samt und Gold ge- haltenen Zimmer, in dem ein breites Baldachinbett auf einem leicht erhöhten Podest stand. Die samtenen Vorhänge waren herabgelassen, und in dem marmornen Kamin brannte hell ein warmes Feuer.
Ein in Gold und Elfenbein gehaltenener Wohnraum grenzte an das Schlafzimmer, von dem wiederum ein Ankleidezimmer abging.
Als Ethan nun die Tür des Schlafzimmers hinter sich zuzog, drehte sich Grace zu ihm um. Das Klicken des Schlosses hatte in ihren Ohren etwas Endgültiges.
„Ich habe deiner Phoebe freigegeben", sagte er. „Denn da ich dir ja
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