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Marzipaneier (Junge Liebe)

Marzipaneier (Junge Liebe)

Titel: Marzipaneier (Junge Liebe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Maier
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Hausflur riecht seit Jahr und Tag gleich. Ich kann es nicht beschreiben, aber es ist charakteristisch für diese Wohnung. Eine Mischung aus Feuchte, Omas gutem Parfüm und Leder. Der Eingang zum Wohnzimmer befindet sich etwas erhöht. Als Kind bin ich mindestens tausendmal drüber gefallen und habe mir die Nase angeschlagen. Daher habe ich auch die kleine Narbe auf der Innenfläche meiner linken Hand. Das war, als ich im Sommer 93 mit einem Glas Milch in der Hand über den Sockel gestolpert und volle Kanne in die Scherben gefallen bin. Vielleicht habe ich daher die Abneigung gegen Krankenhäuser. Damals nämlich musste ich in eines gebracht werden. Bis dahin war Dad der einzige Arzt, den ich bewusst kannte. Es war ein riesiger Schock für mich, wie gefühlskalt und grob der behandelnde Arzt mich damals versorgte. Jedes Mal, wenn ich meine Großeltern besuche und über diese Schwelle steige, muss ich daran denken. Heute meistere ich die Schwelle ohne Probleme.  
    Vom Wohnzimmer aus gelangt man nach rechts ins Esszimmer und links in die Küche. Ein Geruch von Flugente und brennenden Kerzen schwängert die Luft. Oma steht vor dem Herd und kostet vorsichtig die Suppe auf ihren Salzgehalt. Der kleine Weihnachtsbaum steht wie immer akkurat auf dem Tischchen neben Opas sprudelndem und blitzblank sauberem Aquarium. Jedes Jahr sieht der Baum gleich aus. Dads Schwestern sind mit ihren Familien bereits anwesend und helfen sich gegenseitig damit, Oma in der Küche im Weg zu stehen. Nach dem Fest geht unsere gesamte Sippschaft dann ins Allgäu zum Skifahren. In diesem Jahr wird es nicht anders sein. Das ist das absolute Highlight des Jahres. Es beginnt und endet stets im Skiurlaub. Ich freue mich riesig darauf. Ben wird auch dabei sein.
    Waldi, Opas Dackel, läuft unruhig durch das Zimmer und wackelt mit dem Schwanz. Ben muss im Anmarsch sein. Waldi schlägt an. Jetzt wird’s ernst! Mein Herz pocht wie wild. Meine Hände werden feucht und es kribbelt überall in mir. Nervös blicke ich zur Tür. Ich falte meine Hände, weil ich nicht weiß, wohin ich mit ihnen soll. Was soll ich sagen? Wie soll ich ihn begrüßen? Soll ich überhaupt den ersten Schritt wagen? Möge Gott mir die nötige Kraft geben, es durchzustehen. Ich will mich nicht zum Affen machen. Ben soll beginnen. Je nach dem, wie er mich begrüßen wird, werde ich reagieren. Ich kann seine Stimme hören. Die Zwillinge quäken im Hintergrund mit. Allmählich beruhige ich mich. Dann wollen wir mal! Er lacht. Neugierig und ungeduldig starre ich gen Tür. Als er den Raum betritt, scheint ein einziger Lichtschimmer ihn allein zu umgeben. Er füllt den niederen Türrahmen beinahe aus. Modisch elegant, in einer cremefarbenen Hose, die sich eng an ihn schmiegt und Abdrücke von seinem Penis sichtbar macht und einem schwarzem Pullover, der seine etwas ausgeprägte Oberkörpermuskulatur betont, steht er vor mir. Seine blanken Zähne grinsen mich verführerisch an. Wackelig auf den Beinen erhebe ich mich, versuche sicher zu stehen und lächle zurück. Sein spezieller Duft verzaubert mich ein ums andere Mal. Ich ergreife seine Hand und möchte sie um nichts auf der Welt wieder loslassen. Für einen Augenblick haben sich unsere Augen gefunden. Wie kann man nur so geil aussehen und so süß dabei dreinschauen? Noch bevor wir uns richtig umarmen können, ruft Oma Ben zu sich. „Hi, Kleiner“, hat er gesagt. Wenn der Tag auf diese Weise weiterläuft, werde ich keine Probleme haben. Die Zwillinge sehen putzig aus. Kim ist kräftiger geworden. Man muss keine Angst mehr haben, etwas kaputt zu machen, wenn man sie anfasst. Mum, Cora und meine beiden Tanten stürzen sich unumgänglich auf die Kleinen und verschaffen Oma in der engen Küche wieder Platz. Bianka sieht erleichtert aus, ihre Kinder für einige Minuten sicher untergebracht zu haben und gönnt sich ein Glas Wasser.
    Ben setzt sich mit seiner kleinen Familie ans andere Ende des langen Esstisches, der wie in jedem Jahr zu einer breiten Tafel aufgebaut worden ist. Ist das Absicht? Weit weg von mir. Blickkontakt ist unmöglich. Es gibt Omas Festtagsmenu. Sie kocht das beste Essen nördlich des Äquators. Entenkeule, Klöße, die Tante Paula gemacht hat, und Rotkraut. Hinterher gibt’s Weihnachtstorte, deren Rezept seit Generationen in unserer Familie unter strengster Geheimhaltung weitergegeben wird.
    Ben lacht. Ich will mitlachen. Mich mit ihm amüsieren. Ihn anfassen. Ihn spüren. Seinen Atem bis zum Anschlag in mir aufsaugen.

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