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Masken der Begierde

Masken der Begierde

Titel: Masken der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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nach oben. Violet sah ihm hinterher. Seine Hosen klebten klatschnass an den wohlgeformten Beinen, und er hinterließ eine tropfende Spur auf dem Boden.
    Violets Rocksaum erwies sich als ebenso durchtränkt vom Regen, und so steuerte sie ebenfalls die Treppe an. Als sie merkte, dass Allegra ihr nicht folgte, drehte sie sich um.
    Das Mädchen stand zitternd und mit weit aufgerissenen Augen da.
    Violet lief zu ihr und legte ihre Hände auf die Schultern Allegras.
    „Tredayn Castle“, hauchte sie. „Er ist bei Tredayn Castle. Lucas ist bei Tredayn Castle. Rette ihn!“ Allegra schüttelte sich, entwand sich Violets Zugriff. Sie stolperte rückwärts. Ihre Augen schwammen in Tränen. Sie hob abwehrend ihre Hand. „Tu es nicht, bitte. Du musst das nicht tun!“
    Violet umarmte Allegra. Ganz fest, damit das Mädchen weder Kraft noch Möglichkeit fand, sich Violets Griff zu entwinden. Anfangs kämpfte sie noch gegen Violet an, und Violet hatte Mühe, Allegra zu bändigen, doch allmählich erlahmte Allegras Widerstand. Violet löste die Umklammerung, legte ihren Arm fürsorglich um die Schultern des Mädchens und führte sie nach oben.
    Allegra schien wie in Trance, als Violet sie entkleidete und zu Bett brachte. Kaum war sie zugedeckt, schloss sie schon die Augen und fiel in einen tiefen Schlaf.
    Violet strich Allegra eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Zärtlichkeit erfüllte sie. Ein eigenes Kind, eine Tochter, keck, klug, hübsch, gut erzogen und gesund, das musste die Krönung einer jeden Frau sein.
    Ob Ghislaine Waringham ebenso empfunden hatte? Ob ihre Mutter sie verstanden hätte? Violet blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. Sie würde es nie erfahren. Als sie fünf Jahre alt gewesen war, starb ihre Mutter. Ihr Vater hatte danach verboten, je wieder von Ghislaine zu sprechen. Er hatte dafür gesorgt, dass alle Stücke, die an sie erinnerten, fortgeschafft wurden. Violet hatte nur ihre Erinnerungen an eine schwarzhaarige Frau mit perlendem Lachen und an den Duft nach schwerem Parfüm. Das wenige, was man ihr über ihre Mutter erzählt hatte, ließ Violet vermuten, dass Ghislaine sich keinen Deut um die Meinung der anderen Leute geschert hätte. Sicherlich hätte sie applaudierend in der ersten Reihe gestanden, als Violet vor die Gäste ihres Verlobungsballes getreten war und die Verlobung gelöst hatte.
    Violet wischte eine vorwitzige Träne fort. Sie hätte ihre Mutter gern nach ihrer Meinung gefragt, erfahren, was Ghislaine über ihre Tochter dachte. Das einte Violet und Allegra, beide wuchsen ohne die mütterliche Liebe und Unterstützung auf. Ein Verlust, der manchmal spürbar war und dann wieder nicht. Violet straffte sich, sie wollte ihre Zeit nicht länger mit trübsinnigen Gedanken verschwenden. Schon gar nicht, wenn sie in triefenden Röcken herumstand. Sie eilte in ihr Gemach und schlüpfte in trockene Kleider.
    Wenig später saß sie wieder in Allegras Schlafgemach, streckte ihre Füße dem Kaminfeuer entgegen und genoss die Wärme des lodernden Feuers. Ein Tablett mit Essen stand für Allegra bereit, falls sie erwachte und Hunger haben sollte. Violet aß, was ihr vom Hausmädchen gebracht worden war, trank starken, süßen Tee dazu und ließ ihre forschenden Blicke immer wieder zwischen Allegra und dem Büchlein Bethanys, das sie mitgebracht hatte, hin und her wandern.
     
    Violet sah auf. Ihre Augen brannten.
    Bethanys Notizen waren wahrhaft kryptisch. Violet fragte sich ernstlich, ob die gute Lady St. Clare vielleicht laudanumsüchtig oder tatsächlich geisteskrank gewesen war. In ihren Eintragungen zwischen den wirren Träumen oder Halluzinationen schrieb Bethany davon, ihre Träume würden ihr befehlen, einen St. Clare zu ehelichen. Bethany hatte Lucas verführt, und als dieser nach Eton zurückkehrte, wandte sie sich seinem Vater zu. Sie litt an der fixen Vorstellung, die Ehe mit einem St. Clare könne den Familienfluch aufheben, der seit dem ruchlosen Tod der Ahnin Lady Edwina über den St. Clares lag. Den Fluch, den auch Bethany geerbt zu haben schien, wie Bethany glaubte.
    Zu gerne hätte Violet ihre Lektüre fortgesetzt, doch es war spät, das Feuer fiel zu Glut zusammen, und es wurde kühl im Schlafgemach. Allegra schlief tief und fest, und Violet entschied, ebenfalls zu Bett zu gehen. Bethanys Notizen bargen kaum neue Erkenntnisse. Violet würde ein anderes Mal weiterlesen.
    Ehe sie in ihr Bett schlüpfte, sah sie aus dem Fenster. Eine dunkle Gestalt huschte über den Rasen. Violet beugte

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