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Masken der Begierde

Masken der Begierde

Titel: Masken der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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vielleicht eine Arznei, die gegen das St. Clare’sche Leiden half? Aufregung pulsierte bei diesem Gedanken in ihren Adern. Am liebsten wäre sie sofort aufgebrochen, um Clarks Großmutter zu besuchen, aber ein Klopfen an ihrer Tür riss Violet aus ihren Überlegungen. Schnell versteckte sie Bethanys Journal in der Schublade zwischen ihren Spitzenstolas.
    Allegra steckte ihren Kopf durch den Türspalt. „Darf ich hereinkommen?“
    Violet lächelte. „Natürlich.“ Sie deutete auf das Tablett mit dem Teegeschirr. „Lauren hat frischen Tee gebracht. Soll ich dir eine Tasse eingießen?“
    Allegra nickte und schob den Stuhl am Fenster näher an den Stuhl Violets. Ihre Augen strahlten. „Violet, ich danke dir tausendmal. Seit du bei uns bist, ist das Leben so viel interessanter geworden!“
    Violet reichte dem Mädchen lachend die Tasse. „Ich hatte nicht vor, Unruhe in euer Leben zu bringen.“
    „Du hast dafür gesorgt, dass ich meine Zeit nicht mehr wie eine Einsiedlerin verbringen muss“, beharrte Allegra. „Seit du da bist, ist Lucas anderen gegenüber viel zugänglicher. Und ich fühle mich nicht länger als Geisteskranke. Ich muss keine Angst mehr vor irgendwelchen obskuren Behandlungen haben, denen mich die Pflegerinnen gern unterzogen hätten.“
    Violet neigte ihren Kopf. „Da wir also übereingekommen sind, dass wir die erste Hürde für dich genommen haben, was hältst du von einem neuen Kampf?“ Sie nahm einen Schluck Tee, stellte die Tasse beiseite und beugte sich vor, als Allegra sie fragend und neugierig zugleich musterte.
    „Ich gedenke, Clarks Großmutter aufzusuchen und herauszufinden, ob sie ein Mittel kennt, das deine labilen Schübe unterdrückt.“
    Allegra blinzelte ein paarmal, dann stellte sie ihre Tasse auf das Tablett zurück und fiel Violet um den Hals.
    „Ich wusste, dass sich mit dir alles zum Guten wenden würde“, flüsterte Allegra mit erstickter Stimme. „Ich kam bereits auf diesen Gedanken, doch Granny Sterling sagte, sie unternähme nichts, solange kein Erwachsener sie damit beauftrage.“
    Violet erwiderte die Umarmung und streichelte ihr über den Rücken. Allegra zitterte leicht, und Violet war sich nicht sicher, aber sie glaubte, Allegra weinte.
    „Ist denn nie jemand auf den Gedanken gekommen, mit dir zu Mrs. Sterling zu gehen?“, vergewisserte Violet sich ungläubig. Sie wollte nicht glauben, dass Allegras Umgebung so ignorant sein konnte.
    Allegra löste sich aus der Umarmung. Sie wandte ihr Gesicht ab und rieb mit den Händen darüber.
    „Niemals. Meine bisherigen Pflegerinnen hielten mich für geisteskrank, die Ärzte sowieso, und Lucas glaubt nicht an eine Heilung, gleichgültig durch wen, zudem hält er Granny Sterling für eine Scharlatanin.“
    Violet nahm Allegras Hand zwischen ihre Hände und drückte sie aufmunternd. „Wir statten Granny Sterling sobald wie möglich einen Besuch ab“, versprach sie.
     
    Zwischen den Bäumen war es kühl und düster. Die Luft schien schwer von Feuchtigkeit und einer Vielzahl von Gerüchen. Der torfige Duft der Erde mischte sich mit Harz und der Süße von Beeren und Blüten. Ein Hauch Modergeruch streifte Violets Nase. Sie zog ihr Umschlagtuch fester um ihre Schultern und wünschte, sich ihre Pelisse übergezogen zu haben, denn im Wald war es kühl. Immerhin war ihr Schuhwerk angemessen, und das Wetter war in den letzten Tagen erfreulicherweise bis auf vereinzeltes Nieseln trocken gewesen. Der Waldboden federte unter ihren Schritten, und jedes Mal, wenn sie auf dürre Äste trat, durchbrach das knackende Brechen des Holzes die Stille. 
    „Ist es noch weit entfernt?“, flüsterte Violet.
    Allegras englisch geflochtenes Haar hob sich farblich von der eisgrauen Häkelstola ab, die sie über ihre Schulter gelegt hatte. Sie drehte sich um und musterte Violet fragend. „Es ist gleich da vorn“, erklärte sie und hakte sich bei Violet unter. „Ich bin neugierig, ob es Heilung für mich gibt!“
    Ihre Nähe spendete Wärme, und Violet tätschelte ihre Hand. Das Mädchen verstrahlte Temperaturen wie ein Kaminfeuer.
    „Wir werden sehen.“ Violet hoffte es, doch sie wollte keine übertriebenen Erwartungen in Allegra wecken.
    Vor ihnen tauchte eine kleine Jagdhütte auf. Das Holz wirkte dunkel und verwittert, doch als Violet näherkam, registrierte sie, dass jemand die Wände gestrichen hatte, allerdings ungleichmäßig und wenig sachkundig. Das Dach schützte die Terrasse auf der Vorderseite, wo ein Schaukelstuhl

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