Masken der Lust (German Edition)
verließ. Wie er trug sie einen sehr weiten schwarzen Umhang, dem sie den üblichen schwarzen Schleier über ihrem aufwendig frisierten Haar hinzugefügt hatte. Darunter war sie nun endlich ganz die Kurtisane. Stilsicher. Machtvoll. Sinnlich. Mit Schmuck behangen. Das Sahnehäubchen der Crème de la Crème. Sie würde die venezianische Gesellschaft aus den prächtigen Galoschen hauen.
Sie legten ihre Masken beiseite, als sie sich im Schutz des Aufbaus in die üppigen Polster der Gondel zurücklehnten und hinaussahen.
Nach wenigen Minuten glitt die Gondel auf den Canal Grande und nahm eine andere Richtung als bei Sarahs erstem Ausflug. Geräuschlos bewegte sie sich bis auf den Laut der eintauchenden Ruderstange des Gondoliere durch das Wasser. Im weichen Mondschein schienen die stattlichen Marmorpalazzi von eigenem Licht zu schimmern.
Andere Gondeln glitten auf und ab, verschwanden plötzlich durch Wassertore in verwinkelten kleinen Kanälen oder unter steinernen Brückenbögen, die ihre dunklen Schatten auf die glitzernden Wellen warfen. Die kleinen Buglaternen sahen wie Sterne aus, die über dem Wasser schwebten, als wären sie vom Nachthimmel herabgefallen und im Begriff zu erlöschen.
Trotz der Gegenwart so vieler anderer und der Tatsache, dass sie Marcos Körper dicht neben sich hatte, war ihr seltsam einsam zumute, und sie fragte sich, wie es wäre, zu einem Stelldichein mit irgendeinem anderen Liebhaber zu fahren, schwarz gekleidet in einem schwarzen Boot und nahezu unsichtbar. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, mit irgendeinem anderen Mann zusammen zu sein. Echte Kurtisanen mussten das. Sie nicht.
Die alten Palazzi zeichneten sich über dem Wasser ab, lagen halb im Mondschein und halb im Schatten. Wirklich lebendig wird die Stadt erst zur Nacht, dachte Sarah. Es war ein wunderschöner Anblick, doch es lag etwas wenig Vertrauenswürdiges und Vergängliches in der Luft.
Der Gondoliere vertäute das Boot vor einem Palazzo, den sie erkannte. Sie hatte nicht gewusst, dass der Maskenball hier stattfinden würde, obgleich Marco sie erst am Tag zuvor auf das Gebäude hingewiesen hatte.
Sie waren abends ausgegangen, um sich einen prachtvollen Sonnenuntergang anzusehen, der die ganze Stadt karmesinrot färbte, als triebe Venedig auf einem Meer aus Feuer dahin. Ihr Heimweg hatte sie hier vorbeigeführt, und Sarah hatte sich nach dem Palazzo erkundigt.
Marco hatte nur gesagt, dass er einem englischen Herzog gehöre. Die Mauern waren, anders als die Nachbargebäude, aus dunklem Stein, und die vage Ahnung von Unheil wohnte seiner Erscheinung inne. Sie hatte sich den Grund gar nicht erst ausmalen wollen und war froh gewesen, als ihre Gondel zügig vorbeifuhr.
«Du hast mir nicht erzählt, dass der Ball hier stattfinden würde. Warum?»
Er warf ihr einen kühlen Blick zu. «Du wärst nicht mitgekommen. Doch das wollte ich.» Etwas zutiefst Verführerisches lag in seiner Stimme, lullte sie ein und hielt sie davon ab, der Antwort auf den Grund zu gehen. Maskiert betrat sie an Marcos Arm den Palazzo. Zunächst gelangten sie in ein Vorzimmer, wo ein Diener ihnen die schweren Umhänge abnahm. Einer Laune folgend, nahm sie die Maske ab – sie zu tragen war ihr verhasst – und reichte sie ebenfalls dem Diener.
Marco seufzte und tat das Gleiche. «Auch gut. Schließlich werden wir in unsere Zeit zurückkehren, und hier kennt uns keiner. Außerdem sind die meisten schon betrunken.»
Der Lärm des Zechgelages, der aus dem Ballsaal drang, war der beste Beweis. Sie traten durch eine Seitentür in den riesigen Raum mit seiner hohen Decke, angezogen von dem Sog aus Tanzwütigen und Trinkfreudigen, und hielten inne, ehe sie die Stufen hinunterschritten.
Das Gedränge verlangsamte sich und kam binnen zwei Minuten gänzlich zum Stocken. Sarahs Unbehagen verstärkte sich, während sie dastand und sich sämtliche Augenpaare auf sie richteten. Die Musikanten stellten ihr Spiel ein und erhoben sich, um sie ebenfalls anzublicken.
Die von Marco angeheuerten Näherinnen hatten sich selbst übertroffen. Das bodenlange Ballkleid war mit nichts zu vergleichen, was sie je zuvor getragen hatte. Aus schwarzem Satin gefertigt, hatte es ein eingenähtes Mieder aus blassrosa Seide, die aussah wie ihre Haut, als wäre das Kleid bis zur Taille geöffnet. Die vorgetäuschte Nacktheit ließ die Männer unverhohlen starren und zog eifersüchtige Blicke der Frauen auf sich.
Marco hatte ihr Schmuckstücke aus dem Besitz der Patrizierfamilie
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