Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
Hass auf die Merdhuger schien weit tiefer verwurzelt zu sein als bei den anderen. Kesía hatte erzählt, Dawid habe sehr oft die Peitsche zu spüren bekommen. Er hatte sich für seine Frau eingesetzt, die mit Beginn der Schwangerschaft die schwere Feldarbeit nicht mehr in gleichem Maße verrichten hatte können. Was musste er für Ängste um Frau und Kind ausgestanden haben!
Nolina holte sie aus ihren Gedanken. »Nimm es Dawid nicht übel, er hat Schlimmes erlebt.«
»Ich verstehe ihn ja, und die anderen auch. Doch sie scheinen es mir vorzuwerfen, dass ich den Fremden gerettet habe.«
»Nein, sie sind nur verunsichert. Neulich dieser Erkundungstrupp und jetzt das … Ein Merdhuger im Dschungel – das macht allen Sorge. Noch dazu, wo die Umstände derart mysteriös sind.«
Mysteriös traf es haargenau. Auf einmal konnte Ferin es nicht mehr erwarten, mehr über Martu herauszufinden. Sie griff nach der Schale mit dem Brei. »Ich werde besser nach ihm sehen.«
»Warte. Hier.« Nolina reichte ihr einen der hölzernen Löffel, über die sie seit einiger Zeit verfügten. Saron, der zusammen mit Dawid und Kesía aus dem Lager in Assyr befreit worden war, verstand sich aufs Schnitzen, und er hatte in Windeseile eine Menge Gebrauchsgegenstände angefertigt. »Er soll nicht glauben, dass er bei Wilden untergekommen ist.«
Ferin lachte. »Er wird gewiss erleichtert sein, sein wiedergewonnenes Leben mit einem Löffel in der Hand beginnen zu dürfen.«
»Du bist unmöglich, Ferin«, schalt Nolina mit einem liebevollen Lächeln. »Wo ist das ängstliche, hilflose Mädchen geblieben, das ich vor so vielen Tagen dazu überreden musste, sich nicht in den Tod zu hungern?« Sie sah nicht so aus, als wünschte sie sich die alte Ferin zurück.
»Überreden? Du wolltest mir ein Messer bringen, weißt du noch?«
»Das war doch nicht ernst gemeint.«
»Für mich hörte es sich sehr ernst an.«
»Dann möchte ich mich hiermit in aller Form entschuldigen.«
Ferin drückte Nolinas Hand. »Das musst du nicht. Es waren deine Worte, die mich vor dem Ende bewahrt haben. Du hast mir geholfen, meinen Käfig zu verlassen. Dass ich heute eine andere bin, ist auch dein Verdienst. Danke.« Sie stand auf und wollte gehen.
»Warte. Nimm noch ein paar Früchte für ihn mit.«
23 Gespinste
B ei Ferins Rückkehr schlief Martu nach wie vor. Sie kauerte sich zu ihm und kontrollierte, ob er Fieber hatte, aber seine Stirn war kühl. Als sie ihn berührte, schoss wieder das Prickeln durch ihren Arm. Vertraut. Fast erwartet. Mit einem leichten Seufzen hieß sie die Bilder willkommen.
Laigdan. Der Marktplatz. So viele Früchte! Goldgelb und saftig. Süßer Duft. Sie greift hin – eine nur …
Das verärgerte Zischen der Mutter. »Ferin! Dein Platz ist hinter mir.«
»Aber …«
»Wirst du wohl still sein! Hier darfst du nicht sprechen, das weißt du.«
Sie weicht zurück, dorthin, wo ihr Platz ist. Senkt den Kopf.
»Deine Hände.« Die Mutter seufzt. »Denk an deine Hände.«
Sie kreuzt die Arme vor dem Körper, fasst an ihr linkes Handgelenk, drückt zu, bis es schmerzt. Ihre Fingernägel bohren sich in ihre Haut, tiefer, tiefer. Blut quillt hervor. Sie heißt es willkommen, zeigt es doch, dass sie lebendig ist. Dass in ihr ein Herz schlägt.
Als sie zornig aufschaut, die Tränen wegblinzelt, ist auf einmal der Junge da. Keine fünf Schritt entfernt steht er regungslos und beobachtet sie.
»Ke shom baley«, formen seine Lippen. So voller Mitleid, so voller … Liebe.
Ihre Hand fiel herab. Laigdan rückte in weite Ferne, das Bild des Jungen verlor an Schärfe, während Martus Gesicht an Kontur gewann. Für einen Moment verschmolzen Illusion und Wirklichkeit, dann fand Ferin sich am Boden kniend in Sobenios Haus wieder – und konnte sich der Erinnerungen, die wie ein Sturzbach über sie hereinbrachen, kaum erwehren. Er war es. Der Junge vom Markt, der Mann aus der Bibliothek, der aus ihren Träumen. Sie waren eine Person:
Martu.
Wo warst du nur?, wisperte es in ihr. All die Jahre?
Wie versteinert saß sie da und verlor sich darin, ihn zu betrachten. Das dunkle Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, an den Schläfen war es schweißverklebt. Er war unverändert blass, und die Schatten unter seinen Augen zeugten davon, dass er dem Tod nur knapp entronnen war. Er hatte dichte Brauen, wohlgeformte Lippen und gerade jetzt ein Zucken um die Mundwinkel. Dann diese feinen Züge. Ach, und das kleine Mal unter dem linken Auge. Ein Mal! Ein
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