Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
derartige Grübeleien war. Sie konnten nicht mehr zurück, hatten ganz bewusst einen Schritt zu viel gewagt und damit ihr Todesurteil unterschrieben.
Ferin ließ ihre Heilströme versiegen, es war noch lange nicht genug, aber mehr konnte sie für Kerim momentan nicht tun. Der Reihe nach heilte sie eine zerschmetterte Kniescheibe, ein gebrochenes Handgelenk und zwei Stichwunden und wunderte sich dabei, dass sie sich neben der Heilung mittlerweile im Geiste mit ganz anderen Dingen beschäftigen konnte. Am Schluss wollte sie sich Martus Kopfverletzung vornehmen, doch ehe sie beginnen konnte, richtete er sich auf und hob die Hand.
»Hört ihr das?«
»Da ist nichts«, sagte Ferin.
»Eben.« Er sah sie bedeutungsvoll an. »Nichts.«
Tatsächlich war es still geworden. Zwar klirrten auch weiterhin Degen, und abgehackte Schreie bewiesen, dass der Kampf gegen die Gardisten nach wie vor wütete. Aber was fehlte, war das Getöse, das Donnern und die Blitze. Auch der Staub lichtete sich, scharf und kantig trat das zerklüftete Gemäuer aus dem Nebel. Der Spiegelsaal glich einer einzigen Ruine – als wäre ein Orkan hindurchgebraust.
Martu robbte den Steinhaufen hinauf und spähte über den Rand. Eilig schoss er wieder zurück.
»Der Gán«, sagte er tonlos. »Anscheinend ist Miloh besiegt.«
Besiegt. Nur ein anderes Wort für tot.
Es blieb ihnen keine Zeit, über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. Gán Pelton zögerte nicht, der unerfreulichen Angelegenheit ein Ende zu bereiten. Er erklomm den Schuttberg neben der Treppe zum Maskenbecken und breitete beide Arme aus. Sein zerschlissener Umhang und die Kaskade weißer Haare flatterten im Wind, der durch die Deckenkrater in den Saal fuhr. Hier stand er auf dem Gipfel seiner Macht und blickte wie ein Dämon auf sie herab.
Seine Stimme hallte durch den Spiegelsaal. »Pheytaner! Gebt auf und legt die Waffen nieder! Bei jedem, der sich freiwillig stellt, werde ich Gnade walten lassen und von einer Hinrichtung absehen. Alle anderen erwartet der Tod. Hier oder durch den Strang. Entscheidet euch! Jetzt!«
Das darauffolgende Schweigen schnitt tiefer als sein Gebrüll. Die Rebellen am Maskenbecken saßen wie versteinert da und lauschten dem Echo seiner Stimme und ihren pochenden Herzen. Ferin kaute an ihrer Unterlippe, ihr Blick zuckte zu Martu, der grimmig vor sich hin starrte. Von nirgendwoher drang ein einziger Laut. Kein Degen fiel. Kein Flehen um Gnade war zu hören. Nichts.
Dann ein Schrei: »Niemals!« Das war Akur! »Freiheit den Pheytanern!«
Andere fielen mit ein, und augenblicklich wusste Ferin wieder, dass es nicht darum ging, diesem Irrsinn heil entfliehen zu können. Ihr Ziel war es nicht zu überleben. Das war es nie gewesen. Sie hatten ihr Leben bereits aufgegeben, als sie den Entschluss zu diesem Wagnis gefasst hatten.
Was dies alles rechtfertigte, war die Möglichkeit, ihrem Volk die Freiheit zu bringen. Kein Pheytaner sollte sein Antlitz je wieder unter einer Maske verbergen müssen – niemals.
»Niemals!«, schrie Ferin, hörte auch Martu, Nolina und die übrigen ihrer Freunde brüllen. Ihre Schreie rollten wie eine tosende Welle über den Spiegelsaal hinweg, wie ein letztes Aufbäumen vor dem Ende.
Der Gán lachte kalt. Langsam drehte er sich um sich selbst, als wollte er sich vergewissern, in welchen Winkeln und Ecken seine Gegner hockten. Sein Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt, Hass und Machtgier sprachen aus seinen Augen.
»Dann werdet ihr alle sterben!«
Er senkte die Hände und zielte auf das Maskenbecken. Das Wasser begann zu blubbern, und wieder bildete sich ein gewaltiger Strudel. Mit einer schlichten Handbewegung zog der Gán eine Maske aus dem Becken und ließ sie über dem Wasser aufsteigen. Für einen Augenblick schwebte der unscheinbare Hautfetzen in der Luft, dann blähte er sich auf und verformte sich in einen armlangen ovalen Leib mit drei Fortsätzen. Kopf und Beine, dachte Ferin, obwohl sie noch keine genaue Vorstellung hatte, was für ein grauenhaftes Geschöpf der Gán hier erschuf. Im Nu überzog pechschwarzes Gefieder den Körper, entfalteten sich mächtige Schwingen und sprossen Schwanzfedern hervor, ebenso lang wie das Tier selbst. Die Beine spreizten sich zu Zehen, schwarze, gekrümmte Krallen fuhren aus den Fängen. Ein hakenförmiger Schnabel wuchs aus dem Kopf, und gelbe Augen glühten auf.
Der Raubvogel flatterte über dem tosenden Wasser, und während sich aus dem Becken bereits die nächste Maske erhob,
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