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Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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Hast du nicht noch irgendwo ein paar Hefeteilchen, die du dir reindrücken kannst? Vielleicht habe ich dann ein bisschen Ruhe vor dir.«
    »Stimmt. Die hätte ich fast vergessen.« Ecki zog die unterste Schublade in seinem Schreibtisch auf. »Hm, Rollkuchen. Ich liebe Rollkuchen. Hoffentlich bleibt Köhler noch so lange weg, bis ich ihn aufgegessen habe.«
    »Denk dran, Zucker ist schlecht fürs Gehirn. Der weicht sämtliche Windungen auf.«
    »Schwätzer.« Ecki kaute schon. Er sah fast andächtig auf den riesigen Rollkuchen in seiner Hand. »Aber, mal im Ernst, ist das nicht schrecklich? Da liegt ein alter Mann fast eine ganze Nacht und einen ganzen Tag hilflos hinter seinem Bett, und keiner merkt was.«
    »Sag ich doch. Und das kann mir keiner mit Pflegenotstand erklären. Das ist eine Sauerei, so was. Da müsste die Heimaufsicht mal ran.«

XIX.
    »Ich muss vorsichtig sein! Der Kommissar ist gefährlich nahe! Er ist ganz nahe! Ich muss einen Ausweg finden! Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, ich muss sie zu Ende führen. Unter allen Umständen!« Die eiserne Klammer um seinen Kopf wurde immer enger und ließ sein Blut pochen. Verzweifelt presste er seine Hände an die Schläfen, aber der Druck ließ nicht nach. Es hämmerte unablässig in seinem Kopf. Den Schrei konnte er nur mühsam unterdrücken. »Lasst mich! Bitte, bitte, lasst mich doch endlich in Ruhe!« Warum mussten ihn die Gedanken so quälen? Er wand sich unter ihnen wie unter Schmerzen.
    Seit Stunden lag er wach und starrte in den dunklen, engen Raum hinein. Zuerst hatte er sich konzentrieren müssen, um sie zu sehen. Aber dann. Je länger er sie beobachtete, umso mehr neigten die Wände sich ihm entgegen. Einmal schoben sie sich zusammen, ließen den Raum zu einem schmalen Spalt schrumpfen. Ein anderes Mal neigten sie sich ihm gefährlich nahe entgegen. »Sie stürzen auf mich! Sie begraben mich!« Seine Gedanken rasten. Wieder und wieder rang er nach Luft. Er schwitzte. Der Raum war so eng wie eine schlecht sitzende Krawatte. Er bekam keine Luft. Er musste hier raus. »Ich kann hier nicht mehr atmen!« Er griff sich mit beiden Händen an den Hals und versuchte den Hemdkragen zu weiten. Er keuchte und röchelte. »Ich ersticke!«
    Er hatte einen Fehler gemacht, und dafür würde er bezahlen müssen. Einen hohen Preis. Aber er war selbst schuld. Unvorsichtig und leichtfertig war er bei Hecker gewesen. Dabei hätte er es besser wissen müssen. Arroganz und Oberflächlichkeit werden bestraft. Wie oft war ihm diese Weisheit in seinem Leben schon begegnet? Und trotzdem war er unvorsichtig geworden. Er wusste, das konnte er sich nicht noch einmal leisten.
    Aber Feldges, Verhoeven und Breuer hatten es ihm auch leicht gemacht. Zu leicht. Endlich Luft, ein bisschen Luft. Er kicherte leise. Sie waren vielleicht nur zu überrascht gewesen, um sich wehren zu können. Es war alles so einfach und leicht gewesen. So einfach. Ein schneller Schnitt, ein Schuss, ein Streichholz. Gut, haderte er mit sich, er hätte noch mehr Spuren legen können. Aber es musste genug sein, mit diesem Gedicht von Rilke. Er kannte es längst auswendig. Er hatte es sich seit jenem Tag vorgesagt, jeden Tag. Wie eine Gebetsmühle hatte er die Zeilen wiederholt. Um sie ja nicht zu vergessen. Um seine Aufgabe nicht zu vergessen. Auch nur eine einzige Zeile des Gedichts nicht zu jeder Gelegenheit und zu jeder Tageszeit präsent zu haben, hätte geheißen, seine Mission verraten zu haben. Seine Aufgabe, die ihn am Leben gehalten hatte, all die Jahre. Mühsam genug war es gewesen, seiner Zukunft ein Gerüst zu geben. Ein klein bisschen Stabilität, ein klein bisschen Ruhe.
    Er musste sich über sich selbst wundern. Es hatte funktioniert! Nein. Er zögerte und überlegte. Nein, er hatte funktioniert, wie es ihm möglich war zu funktionieren im Rahmen dieser ungewollten und lebensfeindlichen Brüchigkeit. Der Mensch kann viel erdulden. Das menschliche Leid ist nur eine der unendlich vielen Daseinsformen im Überlebenskampf der Kreaturen mit- und gegeneinander. Das Schicksal hatte ihn zum Leidenden gemacht. Er hatte zuviel ansehen müssen, was über seine Kräfte gegangen war.
    Der Gefühlsbruch kam erschreckend plötzlich. Er kicherte wieder. Dieses Gesicht von Feldges! Ungläubiges Staunen, Schrecken, Angst, kindliche Neugier, Abwehr, Wiedererkennen, Todesahnung und Willenlosigkeit: Alles steckte in diesem Gesicht, dass er sich auf Fotopapier hatte kopieren lassen. Stundenlang konnte er vor den

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