Maskenball
eigenen Interessen? Nichts konnte man tun, denn wer hatte schon als einfacher Patient oder Angehöriger die Möglichkeit, die behandelnden Ärzte zu kontrollieren? Als Patient blieb allein die Hoffnung. Die Hoffnung auf ein glückliches Ende der Krankheit. Im Moment zumindest sah es aber eher danach aus, dass Verhoeven und Breuer Pech gehabt hatten und zufällig an den falschen Arzt geraten waren. An Dr. Jekyll.
Es klopfte.
»Herein.«
Viola Kaumanns setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, als sie Frank sah. »Ich habe gehört, dass in diesem Jahr wieder die Karnevalsfete im Keller der Staatsanwaltschaft ist. Ich habe schon während der Ausbildung viel davon gehört, war aber noch nie da. Ich wollte fragen, ob ich, sozusagen stellvertretend für alle, die mögen, die Einlassbändchen besorgen soll?« Sie hielt ihm eine längere Liste mit den Namen von Kollegen hin. »Sie brauchen nur Ihren Namen anzukreuzen, dann besorge ich ein Bändchen. Kassieren komme ich dann später.«
»Eigentlich habe ich noch gar keine Meinung zu Karneval. Ich habe zwei Morde aufzuklären.« Er sah sie an. Sie sah ein bisschen blass aus. Der Eindruck wurde durch ihr kastanienfarbenes Haar verstärkt, das ihr ovales Gesicht in einem modisch fransigen Kurzhaarschnitt umrahmte. Sie war schlank und durchtrainiert, fast wirkte sie ein bisschen mager. Aber das täuschte. Denn Ecki hatte ihm erzählt, dass Viola Kaumanns in ihrer Freizeit einen Sport ausübte, für den man schon eine Menge Kraft brauchte. Viola Kaumanns war Hammerwerferin beim RSV in Rheydt. Frank musterte seine Kollegin genauer. Dieses zarte Persönchen und Hammerwerfen?! Er konnte es nicht glauben. Aber er wusste gleichzeitig auch, dass man Polizeibeamtinnen nicht unterschätzen sollte.
»Ist was?«
»Was? Nein.« Frank bemerkte erst jetzt, dass er Viola Kaumanns die ganze Zeit angestarrt hatte. Was war bloß heute mit ihm los? So hatte er noch nicht einmal Frauen angestarrt, als er noch nicht mit Lisa zusammen war. »Wissen Sie, ich habe im Moment wirklich wenig Zeit für Vergnügungen. Die Ermittlungen, meine Frau, meine zukünftige Frau, besser gesagt, ist schwanger. Ich muss eine neue Wohnung finden, und, und, und. Aber warum erzähle ich Ihnen das alles?«
»Weil es Sie beschäftigt.« Sie hatte mit einem Mal einen sonderbaren Ausdruck in ihrem Gesicht. »Ich kann das gut verstehen. Sie können sich nicht frei machen von Ihren Gedanken. Die Ermittlungen beschäftigen Sie permanent und überlagern alle anderen Gefühle und Situationen. Aber gerade deshalb sollten Sie sich eine Auszeit gönnen. Wenigstens für ein paar Stunden. Das gibt Ihnen neue Kraft für Ihre Arbeit. Ecki, also Herr Eckers hat mir erzählt, dass Sie Musik machen? Sie spielen Blues?«
Oh, Mann, jetzt bloß keine Therapiestunde. Psychologische Beratung konnte er jetzt am wenigsten gebrauchen. Frank studierte wieder die Liste.
»Mögen Sie auch Livin’ Blues ?« Viola Kaumanns stand jetzt ganz nahe an seinem Schreibtisch und sah auf ihn herab. »Ich habe alle ihre Platten.«
»Livin’ Blues ? Woher kennen Sie die? Das muss doch …«, er musterte sie wieder, »das muss doch weit vor Ihrer Zeit gewesen sein.«
»Stimmt.« Sie grinste. »Mein Bruder hat die Schallplatten rauf und runter gehört. Zuerst hat er mich damit fürchterlich genervt. Aber dann habe ich quasi mein Herz für den Blues entdeckt.«
»Das ist ja unglaublich.« Frank vergaß für einen Augenblick Köhler, Hübgens, die Toten und seine Lisa. »Ich bin früher als Schüler zu jedem Livin’ Blues- Konzert gefahren. Ob das nun in Lobberich war, in Krefeld oder sonst wo. Wollen Sie sich nicht setzen?«
»Nein, danke, ich muss weiter. Denn so viel Zeit habe ich leider auch nicht. Ich muss noch die anderen Kollegen fragen.«
»Oh, ja, die Altweiberfete bei der Staatsanwaltschaft.« Frank nahm einen Kugelschreiber und kreuzte seinen Namen an. »Ich bin dabei.«
Viola Kaumanns lächelte still in sich hinein.
Zwei Stunden später saßen Ecki, Schrievers und Frank zusammen. Ecki war erst spät aus Korschenbroich vom Zahnarzt zurückgekommen. Er hätte auch in Mönchengladbach zum Arzt gehen können. Aber da er eine unglaubliche, fast irrationale Angst vor dem Zahnarzt hatte, war er heilfroh gewesen, als er von einer Bekannten von der Praxis Jansen/Jansen in Korschenbroich erfahren hatte. Dort fühlte er sich zum ersten Mal einigermaßen wohl, soweit man das von einem weißen Behandlungszimmer mit gefährlich sirrenden
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