MASKENBALL UM MITTERNACHT
kann mir kein Urteil über ihn erlauben. Ich kenne ihn doch kaum. Er machte, wie gesagt, einen angenehmen Eindruck auf mich. Aber der äußere Eindruck kann gelegentlich trügen. Immerhin ist er Lady Daphnes Bruder, also könnte er ähnliche Charaktereigenschaften aufweisen wie sie. Andererseits müssen die Mitglieder einer Familie einander nicht zwangsläufig im Wesen gleichen. Ich habe zwei Brüder. Der eine ist ein wunderbarer Mensch, während der andere niederträchtig und gemein ist.“ Francescas schönes Gesicht verhärtete sich. „Und ich wäre tief bedrückt, wenn man mich mit Terence vergleichen würde, nur weil ich seine Schwester bin.“
„Siehst du!“, rief Callie triumphierend. „Es wäre also falsch zu behaupten, Lord Bromwell sei ebenfalls ein schlechter Mensch.“
Francesca schwieg eine Weile, bevor sie sagte: „Gewiss, wenn das die Beweggründe deines Bruders sein sollten. Aber wir kennen seine Motive nicht, und wenn er so große Einwände gegen eine Bekanntschaft zwischen dir und diesem Mann hat …“
„Und was ist mit mir?“, fiel Callie ihr aufbrausend ins Wort. „Was ist mit meinen Beweggründen? Wieso nimmt mein Bruder sich die Freiheit heraus, Entscheidungen für mich zu treffen? Ich bin eine erwachsene Frau. Wieso kann ich nicht selbst entscheiden, mit wem ich Umgang pflege? Mit wem ich meine Zeit verbringen möchte?“
„Ja, natürlich, diese Entscheidung sollte ausschließlich bei dir liegen“, pflichtete Francesca ihr bei.
„Ich werde mich nicht dazu hinreißen lassen, etwas Törichtes zu tun, das kannst du mir glauben“, fuhr Callie, wieder ruhiger geworden, fort. „Und bin sehr wohl in der Lage zu erkennen, ob ein Mann versucht, mich zu benutzen.“
„Ja, gewiss.“
„Deshalb finde ich, dass nicht Sinclairs Meinung über diesen Mann zählt, sondern meine eigene.“
„Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Rochford dich nur schützen will“, wandte Francesca ein.
„Zweifellos“, entgegnete Callie spitz. „Aber ich bin es endgültig leid, mir ständig sagen zu lassen, was ich zu tun oder zu lassen habe.“
„Das verstehe ich.“
„Und ich nehme mir die Freiheit heraus, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.“
Wieder nickte Francesca. „Ich weiß, meine Liebe, ich weiß.“
„Dann hast du nichts dagegen einzuwenden?“, fragte Callie. „Oder willst auch du mir verbieten, dass er mich besuchen darf?“
Francesca zog erstaunt die Brauen hoch. „Aber meine Liebe … das liegt mir fern. Ich wollte dich lediglich warnen, da ich mir nicht sicher bin, ob dir klar ist, wie Rochford darüber denkt.“
„Darüber bin ich mir auch nicht im Klaren“, antwortete Callie nachdenklich. „Sinclair war bei dieser Begegnung sehr wütend, was gar nicht zu ihm passt … Wenn ich darüber nachdenke, frage ich mich, ob er nur wütend war, weil er mich nicht finden konnte. Vielleicht hatte seine Verstimmung gar nichts mit dem Earl zu tun. Vielleicht hätte er auf jeden Fremden so reagiert.“
„Mag sein.“
„Ich glaube, hinterher tat es ihm leid, dass er die Fassung verlor“, sagte Callie und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Aber ich will dich nicht belügen. Sinclair bat mich, Lord Bromwell nicht wiederzusehen.“
„Verstehe. Aber du willst dich darüber hinwegsetzen?“, fragte Francesca.
Callie reckte das Kinn. „Ich … ich will selbst darüber entscheiden. Sinclair hat kein Recht, über mein Leben zu bestimmen. Ich liebe meinen Bruder, aber ich lasse mir keine Vorschriften von ihm machen. Allerdings habe ich auch Verständnis dafür, wenn du dich nicht mit Sinclair anlegen willst.“
Francesca hob nun ihrerseits das Kinn. „Ich fürchte mich nicht vor dem Duke of Rochford.“
„Wenn du Lord Bromwell nicht gestattest, mir seine Aufwartung zu machen, werde ich dir nicht böse sein.“
„Vielen Dank, meine Liebe“, antwortete Francesca mit ruhiger Stimme, nur ihre Augen blitzten kämpferisch. „Ich wäre wütend gegen mich, wenn ich mir von Rochford oder einem anderen Menschen vorschreiben ließe, wen ich in meinem Haus empfange. Ich ließ Lord Bromwell wissen, dass er uns jederzeit willkommen ist. Und wenn deinem Bruder das nicht gefällt … nun, dann muss er sich damit abfinden, dass weder du noch ich unter seinem Kommando stehen.“
„Vielen Dank, Francesca.“ Callie strahlte übers ganze Gesicht, eilte zu ihr und schlang die Arme um sie. „Ich bin überglücklich, bei dir sein zu dürfen.“
„Ich bin es auch“, antwortete
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