MASKENBALL UM MITTERNACHT
Francesca und tätschelte ihr den Rücken.
Mit einem Kuss auf die Wange wünschte Callie ihr eine gute Nacht und zog sich zurück.
Francesca fühlte sich erschöpft und dennoch innerlich ruhelos. Sie trat ans Fenster, hob die schwere Draperie ein wenig an, blickte sinnend in die schwarze Nacht und fragte sich, ob sie richtig gehandelt hatte.
Sie wollte nichts tun, wodurch Callie in Gefahr geraten könnte, verletzt zu werden. Sie war tatsächlich in Sorge, Lord Bromwell könne vom gleichen Schlag sein wie seine Schwester. Und sie fragte sich, ob ihre Zustimmung nur darauf beruhte, Callie das Recht auf ihre eigenen Entscheidungen zuzubilligen, oder ob ein seit Jahren schwelender Groll gegen Rochford ihr Einverständnis beeinflusst hatte.
Wie auch immer, Francesca nahm sich vor, ein besonders wachsames Auge auf Callie und Bromwell zu haben. Ihr würde nicht das geringste Anzeichen entgehen, das ihn als Lebemann, Schürzenjäger oder Frauenheld ausweisen könnte. Nichts und niemand sollte Callie Schaden zufügen, solange sie unter ihrem Dach wohnte.
Aber sie war unschlüssig, ob sie Rochford wissen lassen sollte, dass Lord Bromwell Interesse an Callie zeigte und umgekehrt. Andererseits durfte sie Callie nicht hintergehen – genauso wenig wie sie mit Rochford über Dinge sprechen konnte, die fünfzehn Jahre zurücklagen. Mittlerweile wunderte sie sich allerdings nicht länger darüber, dass Rochford sich gescheut hatte, ihr den Grund seines Streits mit seiner Schwester zu nennen.
Deshalb blieb ihr nur eine Wahl: Sie musste Callie über die Dinge aufklären, die sie wusste. Aber wie sollte sie Callie klarmachen, dass sie sich von Bromwell fernhalten sollte, weil Rochford nicht wünschte, dass sie Umgang mit dem Mann pflegte, dessen Schwester einst seine Geliebte war?
8. KAPITEL
Zwei Tage später machte Lord Bromwell seine Aufwartung, blieb weniger als eine halbe Stunde, die angemessene Dauer eines Antrittsbesuches. Francesca verließ das Zimmer nicht, und in den letzten zehn Minuten sprach Lady Tollingford mit ihrer Tochter Lady Mary vor. Also ergab sich keine Gelegenheit eines Gesprächs unter vier Augen zwischen Callie und Lord Bromwell, und die Unterhaltung erschöpfte sich in allgemeinen Betrachtungen über das Wetter, den Theaterbesuch vor Kurzem und die Gala, die der Prince of Wales in zwei Wochen anlässlich des Staatsbesuches des Außenministers des österreichischen Kaiserreiches geben würde.
Callie hatte nichts anderes erwartet. Ein erster Besuch war lediglich ein Prolog, der Auftakt zu einer Werbung, der einer Anstandsdame, den Eltern oder dem Vormund der zu umwerbenden Dame Gelegenheit bot, den Bewerber genauer unter die Lupe zu nehmen.
Lord Bromwell, eine hochgewachsene, breitschultrige Erscheinung im maßgeschneiderten Gehrock aus dunkelblauem feinsten Tuch und eng anliegenden braunen Hosen bestand diese Musterung mit Bravour. Er sah gut aus, hatte ausgezeichnete Manieren und beherrschte die gesellschaftlichen Gepflogenheiten perfekt, obwohl er viele Jahre nicht in der Stadt gelebt hatte. Dabei waren weder sein Benehmen noch seine Rede geziert und exaltiert, nichts an ihm ließ darauf schließen, dass er aufdringlich um die Gunst der Gastgeberin buhlte oder ein falsches Bild von sich geben wollte.
Callie wusste nach einem Blick zu Francesca, dass ihre ursprünglichen Bedenken durch diesen kurzen Besuch teilweise ausgeräumt wurden. Niemand wusste besser als Lady Haughston, was sich in der Gesellschaft schickte und was nicht. Und wenn jemand einen Glücksritter erkannte oder einen, den Francescas Bruder Dominic als Hochstapler bezeichnen würde, so war sie es. Und Callie konnte sehen, wie Francesca sich mit jeder Minute bei Bromwells Besuch mehr entspannte, ihr Lächeln gelöster und offener strahlte und wie sich aus dem anfänglichen Austausch höflicher Belanglosigkeiten eine angenehme Unterhaltung entspann.
Callie, die Bromwells belustigten Blick auffing, erwiderte ihn gleichfalls belustigt, und ein schwindelerregendes Glücksgefühl stieg in ihr auf.
Tags darauf sprach Lord Bromwell erneut vor, diesmal, um die Damen zu einer Spazierfahrt in seinem offenen Einspänner durch den Hyde Park einzuladen. Gegen fünf Uhr nachmittags erging sich die vornehme Welt in Londons weitläufigen Parkanlagen. Man flanierte zu Fuß, ritt hoch zu Ross, fuhr in eleganten Equipagen, um neueste Hutkreationen, edle Pferdegespanne, glänzend polierte Karossen vorzuführen, und nicht zuletzt, um seine Reitkünste zu
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