MASKENBALL UM MITTERNACHT
seine Lippen auf den ihren spüren. Ihr Verlangen war vielleicht unmoralisch und anstößig; ungehörig und leichtfertig war es allemal. Aber im Augenblick war ihr das einerlei. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie etwas Verbotenes tun.
Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen. „Ich würde Sie gerne wiedersehen, Mylord“, erklärte sie freimütig. „Aber falls Sie vergessen haben – ich wohne bei Lady Haughston, deren Zustimmung Sie einholen sollten.“
Das Lächeln seiner Lippen, das Funkeln seiner Augen versetzten Callies Blut in Wallung. „Nein, das habe ich nicht vergessen. Ich wollte nur hören, ob Ihnen mein Besuch willkommen wäre.“
Mit diesen Worten verbeugte er sich, drehte sich um und begab sich zur Tür, wo Francesca sich mit Mr. Tilford und einem Neuankömmling unterhielt. Bromwell verabschiedete sich mit einer Verneigung und sagte noch etwas zu Francesca, die Callie einen flüchtigen Blick zuwarf und ihm lächelnd antwortete. Callie hatte das sichere Gefühl, Francesca hatte ihm ihr Einverständnis gegeben, seine Aufwartung machen zu dürfen.
Der Rest des Abends zog sich ermüdend in die Länge. Das Stück vermochte Callies Interesse nicht zu fesseln, die nur mit Mühe der Versuchung widerstand, zur Loge des Earls hinüberzusehen. In der zweiten Pause erschienen weitere Besucher in ihrer Loge, mit denen sie plauderte, während sie in Gedanken ganz woanders weilte.
Auf der Heimfahrt war Callie einsilbig, auch Francesca schien der Sinn nicht nach einer Unterhaltung zu stehen, und Lucien neckte die Damen wegen ihrer ungewöhnlichen Schweigsamkeit, worauf Francesca ihm mit einem müden Lächeln gestand, der Einkaufsbummel am Nachmittag habe sie doch sehr strapaziert.
„Dann will ich die Damen nicht länger behelligen“, entschuldigte sich Sir Lucien, begleitete die Freundinnen noch höflich ins Haus und verabschiedete sich.
Auf der Treppe nach oben wandte Francesca sich an Callie. „Hast du Lust, noch ein Weilchen mit mir in meinem Zimmer zu plaudern?“
„Ja gern“, antwortete Callie mit leisem Argwohn, die sich fragte, ob Sinclair Francesca geraten habe, ihr den Besuch des Earls nicht zu gestatten. Vielleicht bedauerte sie sogar, Callie eingeladen zu haben, bei ihr zu wohnen.
„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte sie zaghaft, nachdem sie sich in Francescas Schlafgemach in zwei Fauteuils niedergelassen hatten.
„Nein, nein“, wehrte Francesca lächelnd ab. „Du denkst doch nicht etwa, ich will dir einen Vortrag halten, wie?“
Callie schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass du mich nicht belehren willst. Aber vielleicht bedauerst du, mich eingeladen zu haben.“
„Du liebe Güte, wie kommst du auf diese Idee?!“, widersprach Francesca heftig. „Ich bin entzückt, dich bei mir zu haben. Ich frage mich nur …“, sie zögerte, und auf ihrer glatten Stirn bildete sich eine steile Falte, „… ob Rochford damit einverstanden wäre, wenn der Earl of Bromwell uns seine Aufwartung macht.“
„Weißt du etwas Nachteiliges über ihn?“, fragte Callie skeptisch. „Bist auch du gegen ihn eingenommen?“
„Nein, im Gegenteil! Er machte einen ausgesprochen angenehmen Eindruck auf ich. Er ist wohlerzogen und höflich. Im Übrigen sieht er sehr gut aus, was dir gewiss nicht entgangen ist.“ Sie bedachte Callie mit einem amüsierten Blick.
„Wie könnte mir das entgangen sein?“, antwortete Callie errötend.
„Allerdings weiß ich so gut wie nichts über ihn – nur das wenige, was Lucien uns berichtet hat“, fuhr Francesca fort. „Ich bin dem Earl heute Abend zum ersten Mal begegnet.“
Offenbar verstieß Francesca unwissentlich gegen die Anweisungen des Dukes, da Callie ihr verschwiegen hatte, dass Sinclair ihr untersagt hatte, den Earl zu sehen, dem er wiederum nahegelegt hatte, sich von Callie fernzuhalten.
Aber Callie brachte es nicht über sich, die Freundin über diesen Sachverhalt aufzuklären. „Wenn du ihn nicht kennst“, begann sie vorsichtig, „warum denkst du, ich sollte ihn nicht sehen?“
Francesca schüttelte den Kopf. „Das denke ich eigentlich gar nicht. Ich habe nur kein sehr gutes Gefühl dabei.“ Nach einer Pause fragte sie unverhohlen: „Hast du wegen Bromwell mit Rochford gestritten?“
„Ja“, gestand Callie kleinlaut. Sie durfte die Freundin nicht belügen. „Sinclair war auf der Suche nach mir und fand uns auf der Terrasse. Aber daran war nichts Verfängliches. Er hat mich nicht ins Freie gelockt. Vielmehr war ich so leichtsinnig, mich
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