MASKENBALL UM MITTERNACHT
vorstellen.“
„Im Übrigen nahm sie ihre Aufgabe als meine Begleiterin peinlich genau, was ihr gewiss manchmal lästig war, fürchte ich.“
„Meine Vorwürfe waren nicht gerechtfertigt, das sehe ich ein, zumal ich sie nicht ausdrücklich bat, dafür zu sorgen, dass du keinen Umgang mit Bromwell pflegst. Im Übrigen kann ich verstehen, dass sie dir keine Vorschriften machen will. Ich war wütend und will mich bei ihr entschuldigen. Allerdings befürchte ich, dass Lady Haughston sich schon vor Jahren eine Meinung über mich gebildet hat, von der sie nicht abweichen wird.“
Sie fanden Francesca im großen Salon, vor dem Piano sitzend, ohne die Tasten zu berühren. Sie hielt die Hände im Schoß gefaltet und den Blick ins Leere gerichtet. Die Geschwister blieben an der Schwelle stehen. Dann betrat der Duke den Raum.
„Lady Haughston.“
Beim Klang seiner Stimme drehte Francesca sich um und erhob sich mit reservierter Miene. „Euer Gnaden.“
Seine Lippen wurden schmal, aber er sagte höflich: „Sie sind zu Recht aufgebracht. Ich möchte mich für meinen Auftritt vorhin entschuldigen. Ich hatte kein Recht, Ihnen Vorhaltungen zu machen. Selbstverständlich steht es mir nicht zu, Ihnen oder meiner Schwester Vorschriften über Ihren Umgang zu machen. Zu meiner Verteidigung kann ich nur anführen, dass mir sehr daran gelegen ist, Calandra vor Schaden zu bewahren. Ich hoffe, Sie können mir verzeihen.“
Francesca nickte hoheitsvoll. „Selbstverständlich. Seien Sie unbesorgt, ich habe mir Ihre Kritik noch nie sonderlich zu Herzen genommen.“
„Ich bin erleichtert, das zu hören“, antwortete er trocken. „Ich reise umgehend wieder ab. Callie würde gerne noch länger bleiben, wenn es Ihnen genehm ist.“
„Gewiss. Callie ist mir ein stets willkommener Gast.“ Einem Fremden wäre die Hervorhebung von Callies Namen vermutlich entgangen.
„Ich danke Ihnen.“ Er verbeugte sich förmlich. „Dann verabschiede ich mich.“
Callie begleitete ihren Bruder hinaus. An der Haustür warf Rochford einen Blick zurück zum Salon.
„Keine Sorge“, versicherte Callie ihm heiter. „Ich tue mein Bestes, um Francesca wieder milder zu stimmen. Sie ist nicht nachtragend und kann niemandem lange böse sein.“
„Tatsächlich?“ Er lächelte dünn. „Bemüh dich nicht, Callie. Lady Haughston und ich … wir kennen einander ziemlich gut.“ Damit verabschiedete er sich und ging.
Callie blickte ihm sinnend nach. Zum ersten Mal stellte sie sich die Frage, in welcher Beziehung ihr Bruder und Francesca eigentlich zueinander standen. Bisher hatte sie in ihr nur eine jahrelange Freundin der Familie gesehen. Sinclair und Francesca kannten sich seit einer Ewigkeit, aber wenn sie nun genauer darüber nachdachte, erschien ihr etwas in ihrem Umgang miteinander merkwürdig angespannt und verkrampft.
Es war nicht die unbefangene Freundschaft, die Francesca mit Sir Lucien oder mit ihrem Bruder Dominic verband. Es war auch nicht die spielerische Koketterie, die sie mit anderen Herren an den Tag legte. Selbst in eine harmlose Plauderei schlich sich ein seltsam gereizter Ton zwischen Sinclair und ihr ein.
Callie entsann sich Francescas verblüffter Miene, als sie ihr erklärte, sie sei eine der wenigen Personen, der Sinclair seine Schwester anvertrauen würde. Und gerade eben hatte ihr Bruder gesagt, Francesca habe sich schon vor Jahren eine Meinung über ihn gebildet, wobei sein sarkastischer Unterton darauf schließen ließ, dass ihre Meinung über ihn nicht sonderlich günstig war.
Mochte Callie die beiden bisher als befreundet bezeichnet haben, hätte sie nicht darauf gewettet, dass Francesca und Sinclair eine diesbezügliche Frage bejaht hätten. Andererseits hatte sie nicht den Eindruck, die beiden hätten keine Sympathien füreinander. Bis zum heutigen Abend hatte Francesca noch nie eine abfällige Bemerkung über Sinclair gemacht, und Sinclair schien stets aufmerksam aufzuhorchen, wenn Francescas Name erwähnt wurde. Und bei jedem Ball, den sie gemeinsam besuchten, hatte Sinclair einen Walzer mit Francesca getanzt. Das allein wäre freilich bedeutungslos gewesen, hätte Callie nicht gewusst, dass ihr Bruder kein leidenschaftlicher Tänzer war.
Aber hatte das alles überhaupt irgendeine Bedeutung?
Immer noch grübelnd durchquerte Callie die Halle und begab sich in den kleinen Salon, wo sie ihre Freundin vermutete. Francesca saß auf dem Sofa über eine Handarbeit gebeugt, eine eher ungewöhnliche Beschäftigung für
Weitere Kostenlose Bücher