MASKENBALL UM MITTERNACHT
einen Vorteil haben diese Abende: Das Konzert dauert nicht länger als bis zehn Uhr, man ist nicht genötigt, gekünstelte Konversation zu machen, und kann sich den Anschein geben, den musikalischen Darbietungen zu lauschen.“
„Vorausgesetzt, man beherrscht die Kunst der Schauspielerei“, gab Callie zu bedenken. „Aber vielleicht hast du recht. Nach dem Konzert können wir uns verabschieden, ohne unhöflich zu erscheinen.“
Also machte sie sich weniger lustlos als zu anderen Gelegenheiten für den Abend zurecht und ließ sich von Belinda das Haar zu einer kunstvollen Hochfrisur aufstecken. Wie immer sorgte Francesca dafür, dass Callie und sie ein wenig später als das Gros der Gäste erschienen. Eine Marotte, für die Lady Haughston berüchtigt und für die Callie ihr dankbar war, denn dadurch verkürzte sich die Zeit erheblich, in der sie gezwungen war, die Maske heiterer Gelassenheit aufzusetzen.
Im Foyer begegneten sie Lady Manwaring und ihrer Schwester Mrs. Beltenham, betraten gemeinsam mit den Damen das Musikzimmer und verharrten einen Moment, um Ausschau nach Sitzplätzen zu halten. Callies Blick wanderte von der Fensterseite des hohen Raumes über die Stuhlreihen, und dann machte ihr Herz einen erschrockenen Satz.
Nonchalant gegen eine Marmorsäule gelehnt, den Blick direkt auf sie gerichtet, stand Lord Bromwell.
Callie war wie gelähmt. Vor mehr als einer Woche hatte sie ihn zum letzten Mal von Ferne gesehen, vor zwei Wochen zum letzten Mal mit ihm gesprochen, und sein Anblick raubte ihr den Atem. Ihre Blicke hefteten sich ineinander. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, und Callie dachte in einem Anflug von Panik, er mache Anstalten, sich ihr zu nähern.
Diese Begegnung war mehr, als sie ertragen konnte. Nicht hier vor all diesen Leuten. Sie wandte sich hastig ab und berührte Francescas Arm. „Ich … mir ist plötzlich nicht wohl … Migräne. Wenn du mich bitte entschuldigst …“
„Du meine Güte? Willst du gehen?“, fragte Francesca besorgt. „Vielleicht hast du dir etwas eingefangen. Es soll ja eine fiebrige Erkältung umgehen.“
„Nein, nein. Es ist nur … ein wenig stickig hier drin. Keine Sorge. Bitte bleib und genieße die Musik. Ich bin in ein paar Minuten zurück.“
Ohne einen weiteren Blick in Bromwells Richtung machte Callie kehrt und floh.
14. KAPITEL
Callie eilte blindlings den Flur entlang, entdeckte eine halb offene Tür, huschte in eine kleine Bibliothek und schloss die Tür hinter sich. Mit einem Seufzer der Erleichterung sank sie in einen Ohrensessel, bevor ihre zittrigen Knie ihr den Dienst versagten.
Sie wünschte, sie wäre nicht geflohen. Mit Sicherheit hatte man ihre überstürzte Flucht bemerkt. Sie konnte nur hoffen, dass ihr der Schock nicht allzu deutlich ins Gesicht geschrieben gewesen war.
Callie hatte es nicht geschafft, bei Bromwells Anblick eine gelassene Miene beizubehalten. Nachdem er seine Besuche so plötzlich eingestellt hatte, hatte sie anfangs beinahe damit gerechnet, ihm auf einer Gesellschaft zu begegnen, und sich darauf vorbereitet … immer noch in der Hoffnung, alles würde sich zum Guten wenden, wenn sie mit ihm sprach.
Aber mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Sie war in ihrer Achtsamkeit nachlässig geworden, und sein Anblick hatte sie völlig aus der Bahn geworfen. Seit sie wusste, warum Bromwell ihr den Hof gemacht und sie fallen gelassen hatte, gab es keine Hoffnung mehr in ihrem Herzen, nur Bitterkeit und Schmerz.
Sie musste wohl oder übel ins Musikzimmer zurück, konnte sich nicht den ganzen Abend hier verkriechen, durfte nur ein paar Minuten bleiben. Ihr plötzliches Verschwinden würde Anlass zu Getuschel geben. Wenn sie sich anmerken ließ, wie sehr Lord Bromwell sie verletzt hatte, war ihre sorgfältig zur Schau getragene Gleichgültigkeit der letzten Wochen umsonst gewesen. Callie schloss die Augen, atmete tief und versuchte, sich auf die bevorstehende Nervenprobe gefasst zu machen.
Die Tür wurde jäh aufgerissen, Callie zuckte bei dem Geräusch zusammen, ihre Lider flogen auf. Lord Bromwell stand im Türrahmen.
Sie starrte ihn einen Moment an, jede Nervenfaser in ihr zum Zerreißen gespannt. Dann erhob sie sich, ballte die Hände an ihren Seiten zu Fäusten, als bereite sie sich auf einen Kampf vor.
„Lord Bromwell“, grüßte sie, und ihre Stimme klang weniger belegt, als sie befürchtet hatte.
Er schloss die Tür hinter sich, ohne näher zu
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