Maskenball
Wohnungsangebote, vor allem die bezahlbaren Wohnungsgrößen in einigermaßen annehmbarem Umfeld, gab es erst gar nicht.
Er hatte daher schon überlegt, ob er mit Lisa aufs Land ziehen sollte, nach Breyell oder direkt an einen der umliegenden Seen. Aber das wollte Lisa nicht. Sie wolle auf dem Dorf nicht eingehen wie eine Primel, wie sie meinte. Sie sah sich in solchen Gesprächen schnell in irgendwelchen Spielgruppen versauern, in denen auf dem Dorf brave Ehefrauen nur das Wohl ihrer Kinder im Blick hatten und außer Erziehungsproblemen und Windelpreisen wenig andere Gesprächsthemen fanden.
Seine Freundin hatte bereits mit der Schulaufsicht gesprochen und sich um Dinge wie Mutterschutz und Erziehungszeit gekümmert. Sie würde ihre Stelle an der Gesamtschule sechs Wochen vor der Geburt verlassen, um dann zunächst nur für ihr Kind da sein zu können. Allerdings wollte sie möglichst schnell wieder im Klassenzimmer stehen und unterrichten. Der Schulleiter hatte ihr zugesagt, die Stelle freizuhalten. Allerdings war er noch nicht ganz sicher, ob ihm das gelingen würde.
Lisa musste nach ihrem Unterricht in Franks Wohnung gewesen sein, denn er hatte auf dem Küchentisch ein paar Möbelprospekte liegen gesehen und einen ihrer berühmten Zettel am Kühlschrank gefunden. Lisa hatte die Angewohnheit, Gedanken oder Sprüche, die ihr aufgefallen und wichtig waren, aufzuschreiben und die selbstklebenden Zettel überall in der Wohnung zu verteilen.
Wer lange lebt, sieht mehr von den guten und mehr von den furchtbaren Dingen, aber mir macht das Leben Spaß. – James Rosenquist
Wer zum Teufel mochte James Rosenquist sein? Frank hatte keine Ahnung. Erst nach längerem Nachdenken fiel ihm ein, was es mit dem Satz auf sich haben könnte. Das Zitat war wohl bezogen auf ihr Gespräch über alte Menschen, das sie vor ein paar Tagen in dem Kaldenkirchener Hofcafé geführt hatten.
Hans-Georg Verhoeven hatte erst in den letzten Minuten seines Lebens die wohl furchtbarsten Dinge gesehen, die ein Mensch sehen konnte. Er hatte mit ansehen müssen, wie ein Mensch sein, Verhoevens, Leben auszulöschen begann.
Frank ging das Bild nicht aus dem Kopf. Wie der schlaffe Körper am Baum hing, über und über mit Dreck beschmiert. So, als habe ihm der Täter zusätzlich die Würde nehmen wollen. Vielleicht war es aber auch eine rituelle Handlung gewesen, die dem Mörder wichtig und bedeutungsvoll gewesen war. Ein archaisches Symbol für das Tatmotiv. Vielleicht würde Frank mit Assoziationen weiterkommen: Dreck, Waldboden, Mutter Erde, der Erde etwas zurückgeben, etwas in der Erde verbergen, der Waldboden als Schutzschicht, wir kommen aus dem Dreck, wir werden wieder zu Staub, welke Blätter, Vergänglichkeit.
Nein, dachte Frank, das bringt mich jetzt auch nicht weiter. Ihm fehlte noch das entscheidende, freie Ende des Fadens, um ihn aufnehmen zu können. Außerdem wurde ihm langsam kalt. Frank stieg aus der Wanne und trocknete sich ab. Kann man mit Dreck etwas abwaschen? Schuld, vielleicht? Nein, Frank schüttelte den Kopf. Er musste auf das Ergebnis der Obduktion warten. Erst die Fakten würden ihnen weiterhelfen.
Das Telefon klingelte. Frank nahm den Hörer auf. »Frank Borsch, guten Tag?« Am anderen Ende war Bert Becks. Du hast mir gerade noch gefehlt, dachte Frank. Der Polizeireporter der Rheinischen Post hatte natürlich längst schon von dem Vorfall in der Hardterwald-Klinik gehört und wollte Einzelheiten wissen. »Pass auf, Bert, ich bin noch nicht lange zu Hause. Ich habe gerade ein Bad genommen. Nein, ich kann dir nichts sagen. Du musst dich schon bis zur Pressekonferenz gedulden.« Frank kannte den kugeligen Bert Becks schon lange. Er schätzte den meist gut gelaunten Polizeireporter, der große Ähnlichkeiten mit der alten Comicfigur Mecki hatte, wegen seiner fundierten Berichte, seiner Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit. Außerdem sang Becks in seiner Freizeit in einer Düsseldorfer Rockband. Schon allein das gemeinsame Hobby hatte die beiden zusammengebracht.
Aber auch ein Bert Becks musste sich an die Gepflogenheiten der Mönchengladbacher Polizei halten. »Bert, du kennst doch das Spiel. Natürlich kann ich dir bestätigen, dass wir einen Mordfall bearbeiten. Und ich kann dir auch, aber ebenfalls nur unter uns, bestätigen, dass ein Patient der Hardterwald-Klinik getötet wurde. Mehr kann und darf ich dir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Wir werden morgen auf einer Pressekonferenz unseren Ermittlungsstand
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