Maskerade
„Ich will’s versuchen“, versprach Cara darum.
„Dann komm, Pen, wir befreien dich von den pieksenden Stecknadeln, und morgen abend fange ich mit der Näherei an. Und“, fügte sie nachdenklich hinzu, „ich sollte mich auch nach dem Wettbewerb näher erkundigen. Kein Sterbenswörtchen zu irgend jemand. Abgemacht?“ Sie legte den Finger dabei vielsagend auf den Mund und zwinkerte Cara wie einer Verschworenen zu.
„Kein Sterbenswort!“ gelobte Cara feierlich. „Gute Nacht!“ Als die beiden gegangen waren, stand Cara auf und verriegelte die Tür. Sie war nicht ins Hawley-Institut gekommen, um Freundschaften zu schließen, ermahnte sie sich selbst streng, sondern nur, um zu arbeiten und zu lernen!
11. KAPITEL
Liz konnte einige Meter Stoff in die Hand nehmen, sie mit geschickten Finger drapieren und in ein Kleid verzaubern, aber sie hatte keinen Schimmer davon, wie man eine solche schöpferische Idee auf ein nüchternes Schnittmuster zu übertragen oder in einer fachmännischen Skizze wiederzugeben hatte. Sie brachte das Kleid einer Studentin, die im vierten Jahr den Kurs für Modezeichnen besuchte, und bat sie um Hilfe.
„Ich hau’ dir das schnell hin“, versprach sie. „Eine gute Zeichnung ist tausendmal mehr wert als die beste Beschreibung, und Kordsamt ist nicht schwer darzustellen. Wäre es Pelz, so könnte ich die halbe Nacht dran sitzen, oder gar Fischgrätenmuster, Himmel! Bei Fischgräten kann man alle seine Sünden abbüßen! — Halt das Kleid hoch, damit ich die Linien erkennen kann!“ Sie studierte zuerst die Grundlinien und warf sie dann mit nur ganz wenigen, aber gekonnten Federstrichen aufs Papier. In wenigen Minuten entstand ein zierliches Mädchen mit einem Schmollmündchen und einem wogenden Haarschopf, das ein Kordkleid mit funkelnden Messingknöpfen trug.
„Soweit ich die Vorschriften kenne“, sagte die ältere Schülerin, als sie Liz ihr Werk reichte, „muß man alle einzelnen Angaben darunter vermerken. Du hast dir da ein sehr reizvolles Modell ausgedacht, aber vergiß nicht, daß die Konkurrenz riesengroß ist!“
„Nun“, meinte Liz dazu, „das weiß ich. Aber ich tu’ es eigentlich nur, damit ich beschäftigt bin.“
Das ältere Mädchen betrachtete Liz von der Seite, als hätte sie nicht recht gehört. Liz mußte sich eingestehen, daß dies wirklich ein etwas seltsamer Grund war, um an einem Wettbewerb teilzunehmen. Sie bedankte sich dennoch nicht minder herzlich, ging in ihr Zimmer zurück und klebte eine Stoffprobe auf die Zeichnung. Nachdem sie das Ganze in einem großen Umschlag verstaut hatte, wandte sie sich wieder Pennys Kleid zu. Es war ihr klar, daß sie von allein niemals auf die Idee gekommen wäre, sich an einem Wettbewerb für Schülerinnen der Oberstufe zu beteiligen. Teilweise hatte sie sich dazu entschlossen, um Schritt für Schritt zu lernen, wie sie Peter vergessen könnte. Es war nicht leicht, doch zuweilen muß man sich an einen Strohhalm klammern, wenn man spürt, wie das Wasser bis zum Halse steigt, und einer dieser Strohhalme war eben auch der Versuch, sich einzureden, daß ein Kleid für einen Wettbewerb für sie die Welt bedeutete. In der Schule wurde sie genügend in Trab gehalten, um ihre Gedanken von Peter abzulenken, aber sie wußte nie, wann irgendein noch so geringer Anlaß ihre Gefühle wieder in Aufruhr brachte.
Eines Mittags, als sie gerade zum Essen ging, sah sie einen jungen Mann mit blondem Haarschopf und breiten, kantigen Schultern von hinten. Sie stolperte, weil sie dachte: Das ist Peter! Er ist hier, hier in Philadelphia! Dann hatte er sich umgewandt, und sie konnte sein Profil sehen, das ganz und gar nicht dem Peters glich, und die Enttäuschung darüber war wie ein stechender, körperlicher Schmerz.
Dann war da die Schallplatte „ Stardust “ — „Sternenstaub“, die eines der Mädchen im Stockwerk über ihr von zu Hause mitgebracht hatte und in dem Augenblick auflegte, als Liz es am wenigsten erwartete. Es war ihre Melodie gewesen, ihre und Peters, und wenn die ersten Akkorde zu ihr herunterklangen, hörte Liz auf zu nähen oder zu lernen, um sich ganz dieser Melodie hinzugeben. Sie erweckte die Erinnerung an Tanzabende mit Peter, an die sonnigen Tage, an denen sie zusammen in seinem Kabriolett zum Strand gefahren waren, oder an die Musiktruhe in der kleinen Konditorei „Die Zuckerdose“, wo sie diese Klänge so oft gemeinsam gehört hatten. Zuweilen war es dann so, als seien die Erinnerungen viel
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