Maskerade der Liebe
Nesfields Anwesenheit entdeckt hatte. Das Gesicht ihres Vaters wurde erschreckend weiß. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und blickt starr ins Leere. Dann begann er zu ihrem Entsetzen bitter und zornig zu lachen.
„Vater!“ rief sie und eilte zu ihm. „Vater, du musst dich zusammennehmen. Ich weiß, dass es sich fürchterlich anhört, aber . . .“
„Es tut mir Leid, Emily.“ Seine Stimme klang vor Schmerz gebrochen. „Ich bin nur auf mich selbst zornig. Ich habe mich die ganze Zeit vor dir zurückgezogen und dabei diesem Mann die Möglichkeit gegeben, dich gänzlich zu beherrschen, während ich eigentlich die Macht gehabt hätte, das zu verhindern.“
„Wovon sprichst du?“
Er warf ihr einen gequälten Blick zu und nahm dann ihre Hand. „Mein liebes Mädchen, wir haben zu lange nicht über dieses Thema gesprochen. Es ist an der Zeit, dass ich dir erzähle, was ich vom Tod deiner Mutter weiß.“
19. KAPITEL
Es ist nicht richtig, sich vor der Größe eines Geistes oder einer Seele zu fürchten. Diese Größe ist nämlich etwas ausgesprochen Moralisches. Alles zu verstehen lässt einen Menschen tolerant werden, und tief zu fühlen lässt ihn gut werden.
Madame de Staäl, Corinne
Jordan musste eine Entscheidung fällen. Nachdem er wieder zwei Tage auf Reisen gewesen war, näherten sie sich endlich London, doch er wusste immer noch nicht, was er tun sollte.
Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn er Hargraves gefunden hätte, bevor er aus Willow Crossing abgefahren war. Der Butler hätte ihm vielleicht eine Erklärung für Emilys Verzweiflung geben können. Doch bei einem kurzen Aufenthalt in den verschiedenen Gasthäusern war nur herausgekommen, dass der einzige Mann, der vor kurzem aus London eingetroffen war, bei Tagesanbruch wieder abgereist war.
Jordan hatte vage gehofft, seinen Diener auf der Rückfahrt zu treffen, doch das war nicht geschehen. Nun musste er sich entscheiden. Sollte er sich sofort zum Haus von Nesfield begeben und ihn herausfordern? Oder sollte er warten, bis er erfahren hatte, was Hargraves ihm zu berichten hatte?
Die Kutsche fuhr in eine Senke, eine von Tausenden, die die Straße nach Hause durchzogen. Jordan erinnerte sich daran, wie angenehm die Fahrt nach Norden verlaufen war. Es war erstaunlich, wie die Lust die Umgebung auf wunderbare Weise veränderte. Außer jenem Vorfall im ersten Gasthof war ihre Reise so herrlich gewesen wie ein Tag auf dem Meer, wenn der Wind genau die richtige Stärke hatte und die Wellen spielerisch an das Segelschiff schlugen.
Er stöhnte. Mein Gott, er war schon wieder in poetischer Laune. Das war es, was Emilys Gerede von der Liebe bei ihm bewirkt hatte. Wieder spürte er, wie ihm beinahe das Herz stehen blieb. Liebe. Sie liebte ihn. Aber sie wollte ihn nicht heiraten, wenn er Nesfield befragte. Nachdem er ihr anderthalb Tage zugehört hatte und nun ihre Überzeugung, was eine gute Ehe ausmachte, bestens kannte, verstand er, dass sie es ernst meinte.
Zum Teufel mit ihr und ihren Bedingungen! Er konnte entweder herausfinden, welche Geheimnisse der Schurke über Emily wusste. Oder er schwieg und ließ sie allein mit Nesfield zurechtkommen. Aber sie war doch dem Marquess nicht gewachsen. Sie besaß keinerlei Macht, Vermögen, Titel -nichts, womit sie ihm drohen könnte. Sie hätte dankbar sein müssen, dass Jordan sich für sie einsetzen wollte.
Aber sie war es nicht. In ihrer verdrehten Sicht der Dinge war seine Einmischung nur ein Zeichen für seine fehlende Zuneigung.
In Wirklichkeit bedeutete sie ihm jedoch so viel, dass der Gedanke, Nesfield könnte etwas gegen sie in der Hand haben, ihn schaudern ließ. Wahrscheinlich handelte es sich um nichts Wichtiges. Seine liebste Emily war gewiss nicht dazu fähig, etwas wirklich Böses zu tun. Das glaubte er einfach nicht.
Aber sie war bereit gewesen, ihren Ruf zu ruinieren und sich auf eine Weise zu benehmen, die sie selbst abstieß, nur um Nesfield zu beschwichtigen. Was, um Gottes willen, konnte ein solches Verhalten hervorgerufen haben, wenn es nicht etwas Schreckliches war?
Er hatte ein Recht darauf, zu erfahren, was in ihrer Vergangenheit geschehen war. Wenn er ihr schon seinen Namen geben wollte, musste er wissen, worauf er sich einließ.
Du weigerst dich also, meinem Urteil zu trauen? hörte er sie sagen. Wenn du nicht einmal so etwas Einfaches fertig bringst, werde ich dich nicht heiraten.
Zum Teufel mit ihr! Zum Teufel mit ihrer seltsamen Denkweise, ihren Bitten und ihrer
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