Maskerade in Rampstade (German Edition)
einem angedeuteten Knicks zurückgezogen. Ich blickte mich etwas ratlos in dem leeren Zimmer um. Ob Melissa die Uhrzeit mißverstanden hatte, zu der mich Georges Tante erwartete? Oder befand ich mich vielleicht im falschen Raum? War es besser, zu warten oder wieder in mein Gästezimmer hinaufzugehen? Ich entschied mich dafür zu warten. In der Zwischenzeit wollte ich mich ein wenig umsehen. Wie alle Räume in Rampstade Palace beeindruckte auch dieses Wohnzimmer durch seine ungeheuren Ausmaße. Wie in der Vorhalle, so war auch hier der Boden mit schweren Teppichen in den satten Farben des Orients belegt. Die wuchtigen Möbel standen, bis auf eine voluminöse Sitegruppe nahe an dem großen Kamin, in Reih und Glied an den Wänden. Von den hohen, mit Seide tapezierten Wanden blickten aus den Gemälden in stiller Gelassenheit die Vorfahren derer von Rampstade hernieder.
Es handelte sich durchweg um wenig einnehmende, ernste Gesichter, die dem Betrachter unweigerlich Ehrfurcht einflößten. Das mochte allerdings auch daran liegen, daß die Gemälde schon lange nicht mehr gereinigt worden waren. So wirkten sie um so düsterer. Schwere dunkelrote Samtvorhänge mittiefhäjngendenSchabracken säumten die schmalen, hohen Fenster. In dem einzigen Kamin an der Längsseite des Zimmers flackerte ein lebhaftes Feuer. Doch auch diese Flammen konnten nicht wirklich Wärme in diesen kalten Raum bringen. Man konnte dieses Wohnzimmer mit Recht großartig nennen. Doch niemand wäre wohl auf die Idee verfallen, es als gemüdich zu bezeichnen.
Wenn ich an die anheimelnde Wärme auf Grandfox Hall dachte. Was für ein Unterschied! Und doch war ich beeindruckt von der Würde, die dieses Schloß ausstrahlte. Von der Erhabenheit und der respekteinflößenden Ruhe.
Ich war eben dabei, das Bildnis des ersten Herzogs näher in Augenschein zu nehmen, als ich hinter mir einen leichten Luftzug verspürte. Das konnte nur bedeuten, daß die Flügeltür einen Spalt geöffnet worden war. Ich drehte mich rasch um, um festzustellen, wer gekommen war, um mir Gesellschaft zu leisten.
Im Türrahmen stand eine zierliche Blondine in einem-hübschen, moosgrünen Samtkleid. Die Haare waren zu Stoppellocken gedreht und mit einer blumengeschmückten Schleife am Hinterkopf zusammengehalten. Als sie mich erblickte, weiteten sich ihre Augen und ein erschrecktes »Oh!« entfuhr ihren Lippen. Sie war über und über rot geworden, und es schien fast so, als hätte sie am liebsten die Flucht ergriffen. Mein erster Eindruck war, daß ich dieses Mädchen noch nie zuvor gesehen hatte, und ich wunderte mich, warum ich ihr so offensichtlich Unbehagen einflößte. Dann fiel mir ein, daß es sich nur um Georges Schwester Hetty handeln konnte. Doch auch das erklärte nicht ihren angstvollen Blick.
Ich ging auf sie zu und streckte ihr die Hand zum Gruß entgegen: »Du bist sicher Hetty«, sagte ich betont freundlich, in der Hoffnung, die Furcht würde aus dem kleinen Gesicht weichen. »Du hast dich aber verändert! Ich hätte dich kaum wiedererkannt.«
Das Mädchen kicherte nervös, murmelte etwas, das wie »sehr erfreut« klang und versank in einen tiefen Knicks, in dem sie verharrte.
Ich war wirklich ratlos und fragte mich, was dieses seitsame Verhalten wohl zu bedeuten hatte. »So steh doch auf, Hetty!« rief ich aus. Wahrend sich das Mädchen, immer noch mit gesenktem Blick, gehorsam erhob, kamen mir-ernstliche Zweifel. Dieses Verhalten paßte so gar nicht zu der aufgeweckten, jungen Dame, die ich ab Dreizehnjährige in Erinnerung hatte. »Du bist doch Hetty?« vergewisserte ich mich.
»Ja, ich bin Hetty Willowby, Madam, ich wollte sagen, Miss Matthews«, stammelte sie.
»Seit wann sind wir denn so förmlich miteinander?« rief ich aus, »du hast mich doch immer Sophia genannt. Weißt du denn das nicht mehr?«
»Aber natürlich, wie dumm von mir. Ich dachte nur, nach dieser langen Zeit…«, entgegnete Hetty verlegen.
In diesem Augenblick schlenderte ihr Bruder ins Zimmer. Wie immer, wenn ich ihn sah, begann mein Herz wie wild zu klopfen. Es gab wohl keinen Menschen, der besser aussah als George Willowby. Er war korrekt für einen Abend auf dem Lande gekleidet. Die gestärkten Spitzen seiner Hemdkragen waren dem herrschenden Diktat der Mode entsprechend hoch, doch sicher nicht so hoch wie er sie in London getragen haben würde. Das Halstuch war in kühne Falten gelegt, die Haare zu einer gekonnten Windstoßfrisur gebürstet. Ich war sicher, daß George wie jeder
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