Maskerade in Rampstade (German Edition)
soll die Vorhänge zuziehen und dir heiße Milch mit Laudanumtropf en bringen. Glaube mir, das wirkt Wunder.«
Ich beeilte mich zu versichern, daß meine Kopfschmerzen nicht so arg waren, daß man das Schlimmste befürchten mußte und versprach mich zu schonen. Mit einem sicher nicht sonderlich gelungenem Versuch ein Lächeln zustande zu bringen, widmete ich mich wieder meinem Frühstück. Endlich wurde die Tafel aufgehoben.
Da ich sie gebeten hatte, mich zu entschuldigen, entschwanden Hetty und George zu den Ställen. Sie wollten zu einer Ruine reiten, die wir vor einigen Tagen auf einer alten Landkarte entdeckt hatten und die auch George bisher verborgen geblieben war.
Ich ging auf mein Zimmer um abzuwarten, bis die beiden Rampstade Palace verlassen hatten. Dann wollte ich zu den Ställen eilen und mir ein Pferd satteln lassen. Ich saß auf der Bettkante, den Blick auf die kleine Uhr auf dem Kaminsims geheftet. Die Minuten schleppten sich unerträglich langsam dahin. Ich hatte mir selbst auferlegt, eine halbe Stunde zu warten, um absolut sicherzugehen, daß ich den Geschwistern nicht mehr in die Arme lief.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich sprang auf, griff zu meiner Reitpeitsche, setzte den Hut schräg auf den Kopf und verließ mein Zimmer. Durch den Geheimgang, den Melissa mir am ersten Tag gezeigt hatte, erreichte ich ungehindert den Park. Und von dort kam ich problemlos zu den Ställen. Ihre Gnaden, die Herzoginwitwe, hatte ihr Lager die letzten beiden Tage nicht verlassen, und es war anzunehmen, daß Miss Heather bei ihr war, um ihr Gesellschaft zu leisten. Ich öffnete die schwere breite Holztür und trat in den großen dusteren Stall. Es duftete so herrlich vertraut nach Pferden und frischem Heu. Joseph, der jüngste der Stallburschen, der gerade die Boxen ausmistete, stellte die Heugabel an die Wand und kam pflichteifrig herbeigeeilt: »Soll ich Ihnen Rosalind satteln, Miss?«
Üblicherweise hatte das immer einer der älteren Knechte besorgt. Ich blickte mich um. Heute war keiner von ihnen zu sehen. »Bist du denn ganz alleine hier?« fragte ich erstaunt. Joseph war wohl kaum älter als zwölf Jahre.
»Ja, Miss«, bestätigte der kleine Bursche. »Sam ist zum alten Fishmaker hinübergeritten. Scheint, daß die dort Probleme haben mit einem Pferd. Soll lahmen oder so etwas. Und der Stallmeister ist nach York, um Besorgungen zu machen und Greg…«
»Gut, dann sattle du Rosalind für mich«, unterbrach ich seinen Redefluß. Der Bub machte sich gleich an die Arbeit. Er nahm Zaumzeug und den schweren, verzierten Damensattel vom Haken und schritt damit in die Box von Rosalind, die friedlich das ausgestreute Heu fraß. Ich folgte ihm. Da plötzlich hatte ich eine Idee: »Kennst du Jem?« fragte ich ihn. »Den Stallburschen von Grandfox Hall.« Ich versuchte meiner Stimme einen beiläufigen Klang zu geben. Joseph sollte keinesfalls merken, wie wichtig mir seine Antwort war.
»Ei, freilich kenn’ ich den«, antwortete er, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. »Kommt immer mit, wenn Seine Lordschaft Ihre Gnaden besucht. Ist ein verdammt feiner Kerl. Er redet nicht viel, und er ist überhaupt nicht eingebildet. Einmal hat er mir sogar einen nagelneuen Lederbeutel geschenkt. Dabei ist er erster Bursche dort und ich bin hier nur Aushilfe im Reitstall!«
Wenn man wußte, wie streng die Hierarchie in der Dienerschaft üblicherweise eingehalten wurde, so war es tatsächlich eine besondere Freundlichkeit, wenn ein erster Bursche einen Stallhelfer überhaupt zur Kenntnis nahm.
»Du kannst doch reiten, Joseph?« wollte ich wissen.
»Aber Miss, natürlich kann ich das!« lautete die entrüstete Antwort.
»Dann sattle ein Pferd für dich und begleite mich nach Grandfox Hall.«
»Nach Grandfox Hall!« rief der Bursche aus und starrte mich mit offenem Mund an. Wahrscheinlich dachte er, ich sei nicht ganz bei Trost.
»Kennst du denn den Weg nicht?« fragte ich ihn besorgt.
»Aber klar doch kenn’ ich den. Wie meine Westentasche kenn’ ich den. Aber wir reiten mindestens eine Stunde bis hin. Vielleicht wollen Sie lieber die Kutsche nehmen, Miss?« schlug er hoffnungsvoll vor. »Ich kann prima kutschieren.«
»Nein, wir reiten. Ich muß so schnell wie möglich nach Grandfox Hall kommen. Und ich muß dort mit Jem sprechen, ohne daß jemand mein Kommen bemerkt«, setzte ich hinzu. »Glaubst du, daß du das einrichten kannst?«
Die Aussicht auf ein geheimes Abenteuer schien dem Burschen zu gefallen.
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