Maskerade in Rampstade (German Edition)
ihre erbarmungswürdigen Opfer zu erwürgen. Ich mußte mir nun eingestehen, daß ich mich geirrt hatte. Waren die Männer, mit denen ich es zuerst zu tun hatte, ungepflegt und grob in ihrem Verhalten, ungehobelt in ihren Ausdrücken, so waren sie mir doch nicht wirklich brutal erschienen. Und dieser Mann hier, der der Kopf, der Anführer der Bande war, wirkte beinahe wie ein Gentleman, wirkte weniger brutal als so mancher der Herren, die ich in Ballsälen und bei Konzerten kennengelernt hatte. Wie man sich doch irren konnte. Ich würde in Zukunft nie mehr dem äußeren Schein vertrauen können.
»Nun?« fragte der Fremde und neigte leicht den Kopf.
Ich spürte, wie die Röte in meine Wangen schoß. Ich hatte bei meinen Überlegungen vergessen, meinen Blick von seinem Gesicht abzuwenden. Was war das auch für ein Gesicht! Ich hatte noch nie so faszinierende Augen gesehen. Und dieser seltsame Kontrast zwischen den weichen wohlgeformten Lippen und dem harten energischen Kinn. Ich war ziemlich verwirrt. Ja, ich mußte sogar sehr verwirrt gewesen sein. Wie sonst war zu erklären, daß ich begann, diesem Straßenräuber zu vertrauen und ihm die genaue Lage unserer Kutsche und die unglückliche Situation meiner Begleiter zu verraten.
Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, hätte ich mir allerdings am liebsten die Zunge abgebissen. Wie konnte ich nur so etwas Verrücktes tun? Für die Bande würde es nun ein leichtes sein, Mally und den bedauernswerten Harry zu überwältigen und all unser Hab und Gut mitsamt der Kutsche in ihren Gewahrsam zu bringen. Was für eine Närrin bin ich gewesen! Doch nun war eszu spät. »Falls Sie vorhatten, hier zu übernachten, so ist das leider nicht möglich«, sagte der Mann, als ich meine Erzählung beendet hatte.
»Gibt es denn sonst irgendein Gasthaus in der Nähe?« wollte ich wissen.
Der Fremde schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich um und rief seinen Leuten, die uns durch die offene Tür schweigend beobachtet hatten, zu: »Fletcher, Stevens! Ihr habt gehört, wo die Kutsche liegt! Reitet dorthin und seht, wie ihr helfen könnt. Jem!« Auf diesen Ruf trat der Bursche, der zuerst gelesen hatte, aus dem Dunkeln einer Nische des Schankraumes hervor und kam näher.
»Du reitest nach Grandfox Hall und bereitest Palmer auf die baldige Ankunft von Miss…« Er wandte sich an mich: »Wie sagten Sie, war Ihr Name?«
»Matthews«, stammelte ich verwirrt »Sophia Matthews.«
Für einen Moment hatte ich den Eindruck, als würde mein Name den Hauptmann überraschen. Doch ich hatte mich wohl geirrt, denn er wandte sich ohne einen Kommentar wieder seinem Burschen zu: »… auf das Kommen von Miss Matthews vor. Sage ihm, Miss Matthews sei, hmmm, eine Freundin von Lady Sylvia, und bitte Mrs. Lindon, sich um sie zu kümmern. Wenn du das geregelt hast, besorge eine Kutsche und fahre zum Unfallort, um die Begleiter von Miss Matthews abzuholen. Wir sehen uns anschließend.«
»Soll ich Miss Matthews nach Grandfox Hall mitnehmen, Hauptmann?« fragte der Bursche.
»Nein, das erledige ich selbst«, entschied dieser, worauf Jem die Hacken zusammenschlug, sich knapp verbeugte und das Gasthaus verließ. Sam und sein Freund trotteten ihm weniger dienstbeflissen hinterher. Der Anführer wandte sich abermals zum Hinterzimmer zurück und befahl dem kleinen Jeff, sich um seine betrunkenen Kumpane zu kümmern. »Und vergiß nicht den Hund mitzunehmen und alle Fenster und Türen dichtzumachen, wenn du das Haus verläßt. Kann ich mich darauf verlassen?«
Der Mann murmelte etwas Unverständliches und machte sich daran, mit Schreien und Hieben seinen Freund John aufzuwecken.
Nachdem der Anführer seine Befehle erteilt hatte und nun darauf vertraute, daß alles in seinem Sinne erledigt würde, wandte er sich wieder mir zu: »Sind Sie bereit, Miss Matthews? Können wir gehen?«
Er schien mein Einverständnis zu erwarten. Jedenfalls ergriff er die Klinke und hielt mir die Tür auf. Ich hatte nichts dagegen, das unwirtliche Haus endlich zu verlassen, und trat ins Freie.
Kalter Abendwind blies mir entgegen. Untertags, vor allem wenn die Sonne schien, vergaß man fast, daß bereits der September begonnen hatte und es nicht mehr lange dauern würde, bis der Herbst ins Land zog. Die Abende waren jedoch schon reichlich kühl, die Winde, die vom Meer her kamen, wurden zunehmend rauher. Mich fröstelte. Der Fremde schien das zu bemerken. Er legte einen Arm um meine Schulter, um mich zu wärmen. Ich wunderte mich
Weitere Kostenlose Bücher