Maskerade in Rampstade (German Edition)
gerichtet? »Bitte«, sagte er nochmals eindringlich.
Sein Mund war ganz nahe. Ich hatte sein Gesicht noch nie so weich, so bittend, erlebt Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäreschwach geworden und hätte mir seine Erklärungen angehört. Zu gerne hätte ich geglaubt … Nein! Ich wollte keine weiteren Lügengeschichten mehr hören.
»Greg!« rief ich. »Abfahrt!«
Jojos Gesicht wurde mit einem Schlag ernst und verschlossen, »In Ordnung«, sagte er, »wie du willst.«
Damit trat er vom Fahrzeug zurück. Er verbeugte sich knapp, machte kehrt und ging erhobenen Hauptes zum Haus zurück. Greg setzte die Kutsche in Bewegung. Ich riskierte einen kurzen, letzten Blick auf Jojo. Er stieg eben die Stufen hinauf und drehte sich nicht um. Sein Gang war flott und aufrecht wie immer.
›Was hast du denn erwartete?‹ fragte meine innere Stimme. ›Dachtest du, er würde fortan gramgebeugt, mit eingezogenen Schultern durchs Leben gehen, nur weil du ihm einen Korb gegeben hast?‹
Nein, das dachte ich eigentlich nicht. Aber dennoch, wenn mich Jojo wirklich liebte, dann hätte er stärker versucht mich aufzuhalten. Dann wäre er nicht sofort vom Schlag zurückgetreten, bloß weil ich Greg befohlen hatte, abzufahren. Also war es ihm nicht wirklich ernst.
XVII.
Die Reise war ebenso langweilig wie strapaziös. Obwohl ich mich wirklich nicht beklagen durfte. Greg entpuppte sich als ausgezeichneter Kutscher. Er führte die Zügel mit leichter Hand, und es ging in flottem Tempo dahin. Zudem schien er ein gutes Auge für Pferde und eine gehörige Portion Durchsetzungsver-mögen zu haben. Die Tiere, die man uns bei den zahlreichen Pferdewechseln anspannte, waren allesamt recht taugliche Renner. Kern einziges Mal ließ er sich Pferde aufschwatzen, die nicht harmonisch miteinander liefen. Die Kutsche war bestens gefedert. Da es nun schon einige Tage hintereinander nicht geregnet hatte, waren die Straßen in den ersten Tagen unserer Reise trocken.
So kamen wir zügig voran. Ein weiterer glücklicher Umstand war, daß Greg sowohl die Herzogin als auch George schon einmal nach Winchester gebracht hatte. So kannte er den Weg und hielt nur in den allerbesten Häusern an, in denen wir die Nacht verbringen sollten. Das Wappen am Kutschenschlag wirkte jedesmal wahre Wunder. Die Wirtsleute kamen herbeigeeilt, sobald die Kutsche in den Innenhof eines Gasthauses eingefahren war. Diener kümmerten sich um unser Gepäck. Man wies mir stets eines der besten Zimmer zu. Zumeist waren diese mit einer Verbindungstür zur Kammer meiner Zofe Melissa verbunden. Wenn einmal irgend etwas nicht so reibungslos klappte, dann brauchte ich mir dennoch keine Sorgen zu machen. Greg, der stille bescheidene Mann, konnte sich perfekt in den hochmütigen, erhabenen Diener verwandeln, der es gewohnt war, für seine Herrschaft alle Wege zu ebnen.
So reiste ich wohlbehütet. Ohne all die Probleme, die die Fahrt einer alleinreisenden Frau gewöhnlich mit sich brachte. Ich wollte gar nicht daran denken, was ich alles erlebt hätte, wenn ich alleine mit der Postkutsche die lange Fahrt in Angriff genommen hätte. Eingezwängt zwischen zahlreichen anderen Passagieren in schlechtgefederten, alten Fahrzeugen, die teilweise, wie man hörte, von betrunkenen Kutschern gelenkt wurden. Jeden Abend wäre ich von mißtrauischen Wirten empfangen worden, die mir sicher nur die kleinste ihrer Kammern zur Verfügung gestellt hätten, mit schlechtgelüfteter Bettwäsche und rauchenden offenen Kaminen.
In Gedanken schickte ich meinen innigsten Dank an Mrs. Bil-gate und Mr. Blessom, die ermöglicht hatten, daß mir all dies erspart blieb.
Und dennoch hatte ich kaum je eine Reise erlebt, deren Ende ich sehnlicher herbeigewünscht hatte. Die Stunden schleppten sich dahin. Ich hatte bald bemerkt, daß Greg und Melissa Zuneigung zueinander gefaßt hatten. Sie sprachen besonders freundlich miteinander, Greg hielt ihr höflich jede Tür auf und reichte ihr hilfreich die Hand, wenn sie der Kutsche entstieg. Dabei hielt er ihre Hand immer ein bißchen länger fest, als es unbedingtnötig war. Worauf sie zart errötete und sittsam zu Boden blickte. Mir blieb es überlassen, mit einer vor Liebe schmachtenden Zofe die Kutsche zu teilen. Melissa, die nie sehr gesprächig gewesen war, war durch das für sie ungewohnte Glücksgefühl, von Greg, dem ersten Stallburschen, verehrt zu werden, so aufgekratzt, daß ihr Mundwerk kaum stillzustehen schien. Sie pries sämtliche Vorzüge des jungen
Weitere Kostenlose Bücher