Maskerade in Rampstade (German Edition)
die Kutschenräder langsam aber stetig in Richtung Heimat rollten. Und je mehr ich grübelte, desto mehr Fragen blieben offen. Vielleicht hätte ich doch nicht so überstürzt abreisen sollen? Ich hätte mir Jojos Erklärungen wenigstens anhören können. Vielleicht hätte sich alles in Wonne und Wohlgefallen aufgelöst, wenn ich ihm nur Gelegenheit gegeben hätte… aber er hatte ja Gelegenheit gehabt. Wenn er mich wirklich liebte, dann hätte er alles stehenlassen und unter vier Augen mit mir gesprochen, bevor er seine Großmutter aufsuchte!
Nein, er hatte mich nicht nur hintergangen und mein Vertrauen auf das sträflichste mißbraucht. Er hatte mich auch noch in kränkendster Weise vernachlässigt. Meine überstürzte Abreise war genau das Richtige gewesen. Und doch wunderte ich mich über mich selbst. Es entsprach üblicherweise meinem Naturell viel eher, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Mich Problemen zu stellen, als vor ihnen davonzulaufen. Davonlaufen war eine unbefriedigende Lösung, wie ich jetzt feststellen mußte.
Doch es war zu spät, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Ich war auf dem Weg nach Winchester. Ich würde nie die Wahrheit erfahren. Und immer mit Vermutungen und Verdächtigungen leben müssen.
Am Morgen nach der letzten Nacht unserer Reise blickte ich mißtrauisch aus dem blankgeputzten Fenster. Der Himmel, der in den letzten Tagen klar und blau gewesen war, war nebel-verhangen. Das schöne Spätherbstwetter, das für die Jahreszeitgeradezu ungewöhnlich mild gewesen war, schien mit einem Mal zu Ende zu sein und den kalten und feuchten Nebeln des Winters Platz zu machen.
Greg war bereits im Stall gewesen und hatte den Auftrag gegeben, die Pferde einzuspannen. Er betrat die Gaststube, als Melissa und ich eben unser ausgiebiges Frühstück beendet hatten. »Es hat sich bezogen«, meinte er nach der Begrüßung, »scheint in Kürze Regen zu geben.«
Er sollte recht behalten. Gerade als die Kutsche durch das Tor hinausrollte, fielen die ersten, schweren Tropfen gegen das Kutschendach.
»Armer Greg«, murmelte Melissa. Sie war wegen des schlechten Wetters wieder zu mir in das Innere der Kutsche gestiegen, Mit klammen Fingern zog sie den Mantel enger vor der Brust zusammen: »Er wird sich den Tod holen, da oben auf dem Kutschbock.«
»Er hat ja einen dicken Kutschiermantel und einen breitkrempigen Hut«, versuchte ich sie zu beruhigen. Doch sie war von der Sorge um ihren Verehrer nicht abzubringen. »Und wenn er sich eine Lungenentzündung holt?« Melissa ließ nicht locker.
»Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich«, entgegnete ich knapp und kehrte ihr den Rücken zu. Die Wange an die Polsterung der Kutschenbank gelehnt, war mein Blick aus dem Fenster gerichtet. Die Wassertropfen rannen wie Tränen an den beschlagenen Scheiben entlang. Von der grauen, trostlosen Landschaft dahinter war kaum etwas zu erkennen. Es war wirklich zum trübsinnig werden. Nahm diese Reise denn niemals ein Ende?
»Wenn es nur zu regnen aufhören würde!« stöhnte Melissa. »Sehen Sie doch nur, jetzt ist es noch stärker geworden! «
Da es schon bisher in Strömen gegossen hatte und die Tropfen unablässig gegen das Kutschendach klopften, konnte ich eine Steigerung beim besten Willen nicht erkennen.
»Wenn ich ihm nur helfen könnte. Der arme, arme Gregl« seufzte Melissa theatralisch. Wäre ich nicht selbst durch meine Grübeleien und die lange Reise schon gereizt gewesen, ich hätte auf Melissas Sorgen gelassener reagiert. So jedoch wurde ichernsthaft ungeduldig. Wenn schon der Regen nicht aufhörte, so sollte wenigstens Melissa mit ihrem Gejammere aufhören.
»Es gibt kein Mittel, wie du ihm helfen kannst«, sagte ich schroff. Hoffentlich würde sie jetzt endlich still sein.
»Es muß doch etwas geben«, beharrte sie statt dessen. »Wir beide sitzen hier in der warmen, trockenen Kutsche…«
»Soll ich ihn vielleicht bitten, hier Platz zu nehmen und mich selbst auf den Kutschbock setzen?« unterbrach ich Melissa ungehalten.
Sie schwieg betreten. Endlich war es ruhig im Fahrzeug. Als ich das nächste Mal zu ihr hinüberblickte, bemerkte ich, wie Tränen über ihre Wange hinunterkullerten. Jetzt tat mir mein schroffes Verhalten doch wieder leid.
»Er wird schon nicht krank werden«, sagte ich daher und versuchte sie zu beruhigen, »er ist das Kutschieren schließlich gewöhnt.« Melissa nickte schweigend. Ich lehnte mich wieder in die Polsterung zurück und schloß die Augen. Ich würde
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