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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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Bernard Shaw
    Nachdem ich Markus gedemütigt hatte, war es mit den Quälereien viel schlimmer geworden. Einmal stellte er mir ein Bein, ich fiel hin und ratschte mir das Knie auf. Ich kam mit einer kaputten Hose nach Hause, und Baba brüllte, ich würde ihm die Haare vom Kopf fressen. Ich kicherte, weil es Monate dauern würde, Babas Haare zu fressen, und schon pochte seine böse Ader wieder, also fragte ich hastig, warum es meine Schuld sei, wenn Markus mir ein Bein stellte und ich mir deshalb mein Knie aufgeschürft hatte. Baba schaute mich an, als sei ich ein Idiot.
    »Wie soll aus dir ein Mann werden? Wie willst du irgendwann für deine Familie einstehen, wenn du nicht einmal für dich selbst einstehen kannst?« Ich wollte gerade antworten, es sei gar nicht so einfach, alleine gegen eine Armee wütender Schulkinder zu kämpfen, doch Baba ließ mich nicht antworten, sondern brüllte und brüllte, bis mir die Ohren wie ein Scheunentor bei einem Gewitter zuklappten. Wie konnte ich auch nur annehmen, Baba wolle eine Antwort auf seine Fragen hören? Mein Knie brannte, Baba brüllte, ich fing an zu flennen und brachte ihn damit noch mehr auf die Palme.
    »Meine Güte, du hast so viel Rückgrat wie ein Bandwurm, tztztz .« Er schnalzte mit der Zunge. »Wääääh hier, wääääh da – was zum Teufel ist los mit dir?« Ich sah beschämt weg, versuchte, meine Tränen herunterzuschlucken, und bekam davon Schluckauf.
    »Aber Baba, hicks … ich bin alleine, hicks … Markus hat Freunde, hicks …«, stammelte ich. »Kein Wunder, dass du keine Freunde hast.« Baba schüttelte den Kopf.
    »Aber Baba, hicks …«, mein Vater fiel mir ins Wort: »Ruhe jetzt, du hörst dich ja an wie ein Schluckspecht.«
    Mama kam nach Hause, sah mein aufgeschürftes Knie, die kaputte Hose und fragte, was passiert sei. Baba sagte höhnisch, mich habe schon wieder ein Gleichaltriger verprügelt; kein Wunder, schließlich hatte ich das Rückgrat eines Bandwurms – solche Kinder verdienten auch Prügel. Mama umarmte mich, Baba kochte vor Wut. »Du hast aus diesem Jungen ein Waschweib gemacht! Er kommt ganz nach dir!«
    Mama ignorierte seine Beleidigungen.
    »Was soll ich mit der Hose machen? Aus der anderen ist er auch schon rausgewachsen«, fragte sie bestürzt.
    »Näh sie einfach wieder zu.«
    »Da ist ein riesiges Loch!«
    »Dann mach daraus eine kurze Hose.«
    »Daraus kann ich höchstens eine Unterhose machen. Um Himmels willen, du fällst schon nicht von den Rippen, wenn du deinem Sohn fünf Mark für eine Hose gibst!«
    »Fünf Mark für eine Hose? Wir sind keine Millionäre.«
    Mama stöhnte, zwang mich, die Hose auszuziehen, und drückte mir Amanis alte Hose, eine weiße Jeans mit aufgesetzten pinken Blumen, in die Hand. »Mama, das zieh ich nicht an.«
    »Wir haben Ende des Monats, es ist kein Geld für neue Hosen da. Wieso gibst du auch nicht acht?«
    »Kannst du nicht einfach das Loch wieder zunähen?«
    »Dein Kopf passt durch dieses Loch, ich bin Mutter und keine Zauberin.«
    »Die verprügeln mich mit so einer Hose.«
    »Wenn du dich mal wehren würdest, könntest du Amanis Hosen anziehen, ohne verprügelt zu werden.« Ich schämte mich, selbst Mama hielt mich für einen Schwächling. »Amani verprügelt keiner.«
    Nein, Amani verprügelte keiner. Amani ließ sich nicht ärgern. Zog ein Mitschüler über ihre alten Schuhe her, fauchte sie: »Machst du dich über meine Eltern lustig? Findest du es lustig, dass sie mir keine neuen Schuhe kaufen können oder den ganzen Tag ehrliche Arbeit verrichten und trotzdem arm sind? Denkst du, alle sind so verwöhnt wie du?« Meistens genügte das. Einem derart angriffslustigen Mädchen, das sich nicht die Bohne um ihre Armut scherte, konnte man nichts mehr anhaben – Kindern mit dem Löwen-Gen wollte keiner gern ans Bein pinkeln.
    Mama nähte eine weiße Häkeltischdecke an die Innenseite meiner zerrissenen Hose. Natürlich ärgerten mich am nächsten Tag meine Mitschüler, weil ich eine Tischdecke am Bein trug. Als Markus mich während der Pause schubste, kam mir Amanis Strategie in den Sinn. »Findest du es lustig, dass meine Eltern arm sind?«, stotterte ich. Markus warf seinen Kopf nach hinten und lachte. Alle anderen Kinder ahmten ihn nach, wie kleine, an Fäden gezogene Puppen, und ich fragte mich, warum manche Kinder schon in diesem Alter so bösartig und grausam wie Erwachsene waren. »Ja!«, antwortete er in einem spöttischen Ton und schlug mir auf den Hinterkopf. Mir fehlte

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