Massiv: Solange mein Herz schlägt
wütete Baba.
Mama hielt sich mit ihrer Hand den Mund zu, eine Träne bahnte sich ihren Weg, doch sie wischte sie schnell von ihrer Wange. Ihr Gesicht war rosa, weil sie minutenlang versucht hatte, einen Lachkrampf zu unterdrücken. Ich fand das ganz und gar nicht lustig, und bei dem Gedanken, ins Gefängnis zu müssen, wurde mir wieder schlecht. Horst öffnete die Augen, hauchte hmpf und roch aus dem Mund nach Teufelszeug. Er fasste sich an den Schädel und zuckte zusammen bei dem Anblick des Schafkopfes gleich neben ihm. Er machte wieder hmpf und fragte benommen, was passiert sei. Ob Horst wegen des Teufelszeugs oder des Schafskopfes benommen war, wusste ich nicht. Baba zeigte Horst zwei Finger und fragte: »Wie viele Finger sehen Sie?« Horst kniff die Augen zusammen und grinste: »Peace!«
»Alles gut, der Alkoholiker lebt noch«, sagte Baba erleichtert.
»Alles gut, brauner Freund«, bestätigte Horst. Mein Vater fuhr mit ihm ins Krankenhaus. Ich fragte, ob man mich wegen versuchten Totschlags mit einem Schafkopf ins Gefängnis bringen konnte. Mama musste wieder lachen und sagte mit glucksender Stimme: »Nein, nein, der Alkoholiker hat doch gar nichts gemerkt.« Dann wollte sie wissen, was in aller Welt in mich gefahren sei und mich dazu gebracht hatte, unser Abendessen aus dem Fenster zu schmeißen.
»Ihr könnt doch nicht einfach Schafkopf essen«, antwortete ich.
»Sollen wir lieber deinen Holzkopf essen?«, kicherte Amani.
Zwei Stunden später war Baba zu Hause und meinte, ich hätte Schwein gehabt, weil Horst nur eine leichte Gehirnerschütterung hatte und er ihn überzeugen konnte, der Schafkopf wäre vom Himmel auf Horsts versoffenen Schädel gefallen. Mama meinte, ich hätte Schaf gehabt, weil der Schädel auf den Schädel eines versifften Alkoholikers gefallen sei – und Alkoholiker wüssten sowieso nicht, wo links und rechts sei.
»Wo ist der Schafkopf jetzt?«, erkundigte sich Mama.
»Der wollte ihn unbedingt behalten«, antwortete Baba achselzuckend, während er sich kochend heißen Tee ins Glas goss. »Betrunkene haben mehr Glück als Verstand«, meinte Mama und schob die Gardinen wieder vor das Fenster, von dem aus das Verbrechen begangen worden war.
Zwei Wochen später begegneten wir Horst im Treppenhaus. Fast hätte ich ihn nicht erkannt in dem sauberen schwarzen Anzug, in dessen Knopfloch eine gelbe Blume steckte. Er hatte glatt gekämmtes, frisch gewaschenes Haar, roch nach Rasierwasser statt nach Teufelszeug, und seine schwarzen glänzenden Herrenschuhe klackerten beim Gehen. Horst sah aus wie die feinen Herren aus den amerikanischen Filmen, die bei schicken Dinnerpartys den Gästen klassische Musik am Klavier vorspielten – und nicht wie ein Alkoholiker, der für seine Alkoholikerfreunde laute Lieder sang. Er öffnete meiner Mutter die Tür, griff mit einer schwungvollen Bewegung nach der Blume und reichte sie Mama.
»Ich bin zu einem Viertel Franzose«, sagte Horst ganz freundlich.
»Aha.« Widerwillig nahm Mama die Blume an und wunderte sich über Horsts höfliches Benehmen.
»Ich bin zu einem Viertel Froschfresser, ha!« Horst lachte, und Mama presste ein gequältes »Haha« zwischen ihren Lippen hervor. Sie blieb lieber ruhig, schließlich hatte ihr Sohn den Ein-Viertel-Froschfresser fast mit einem ganzen Schafkopf erschlagen.
»Seit zwei Wochen habe ich keinen Schluck angerührt. Pfui Teufel, wie konnte ich mir mit so einem Mist zwanzig Jahre die Birne vollkippen?«
»Hm.«
»Ich bin ein neuer Mensch geworden.«
»Aha.«
»Habe heute sogar ein Vorstellungsgespräch.«
»Aha.«
»Es ist Schicksal, dass der Schafkopf auf meinen Kopf gefallen ist.«
»Aha.« Mama nickte. Ich sah, wie sich ihre Mundwinkel wieder hochzogen, sie legte schnell die Hand vor den Mund.
»Nicht alle Tage regnet es Schafköpfe aus dem Nirwana.«
»Ja, ja«, nickte Mama hastig und versuchte, ganz ernst zu schauen.
»Seither ist das Gras viel grüner, die Sonne heller, und der Schafkopf hat einen Ehrenplatz in der Vitrine, direkt neben meinen Porzellanvögeln, bekommen. Danke noch mal für die Hilfe! Tschüss, schönen Tag noch!«
Horst ging weiter, und als er sich einige Meter entfernt hatte, prustete Mama los: »Einen Ehrenplatz in der Vitrine …« Mama hielt sich am Türrahmen fest und lachte so laut wie schon lange nicht mehr.
KAPITEL 5
Mein Freund, der italienische Bastard
Vielleicht stünde es um die Welt besser, wenn die Menschen Maulkörbe und die Hunde Gesetze bekämen.
George
Weitere Kostenlose Bücher