Massiv: Solange mein Herz schlägt
nach Pirmasens gebracht – amerikanische Musik. Einmal stand ich an einer Ampel, als ein Jeep neben mir anhielt. Die Boxen waren voll aufgedreht, und der Wagen bebte, während zwei muskelbepackte Männer zu der Musik mitwippten. So etwas kam häufig vor. Die Amerikaner waren laut und hörten laute Musik. Die Musik der Amerikaner dröhnte aus den Autos, den Cafés und Parks, in denen sie manchmal abhingen – und wenn die Amerikaner eines hatten, dann gute Musik.
»Never, never gonna give you up … never, ever gonna stop … I feel about you Girl … can’t live without you …«, tönte es aus dem Auto.
Die Stimme, der Takt und die Melodie kamen mir bekannt vor.
»… whatever you want, girl, you got it …«
Ja klar! Das war die Stimme aus meinem Walkman. Das war die Stimme ! Ich rief: »Hey!«, aber die Musik war zu laut, und die Männer im Auto hörten mich nicht. Ich ging auf die Straße und klopfte gegen das Fenster des Jeeps, der Beifahrer kurbelte das Fenster weiter runter.
»Hallo, wer ist der Sänger?«, fragte ich, außer mir vor Freude.
»What?«, entgegnete ein dunkelhäutiger Ami und zog an seiner Zigarette.
»Who is the singer?«, sprach ich hastig und sah aus dem Augenwinkel heraus, wie die Ampel grün wurde. Beide lachten mich aus.
»Please!«
»You don’t know Barry White? He’s a legend!«, rief der Fahrer und drückte aufs Gaspedal.
Barry White. Bei dem Klang seiner Stimme liefen mir hundert Szenen meiner Kindheit durch den Kopf.
Nach Barry White war 2Pac mein großes Idol. Ich klaute alle vier Editionen von dem All Eyez on Me -Album, konnte hundertsechzig seiner Songs auswendig und verwandelte mein Zimmer in einen 2Pac-Tempel. Als er auf offener Straße erschossen wurde, brach für mich eine Welt zusammen, denn keiner konnte seine Geschichte so emotional ins Mikro rappen wie 2Pac.
Ich hatte von klein auf eine starke emotionale Bindung zur Musik. Musik besitzt eine unvorstellbare Macht, sie kann Gefühle hervorrufen, Erinnerungen wecken, stärken oder schwächen, inspirieren und motivieren. Innerhalb von zwei Jahren gab ich ein kleines Vermögen für Konzerte aus, die ich in ganz Deutschland besuchte. Snoop Dogg, Jay-Z, Busta Rhymes – ich ließ niemanden aus, der Rang und Namen in der amerikanischen Hiphop-Kultur und sich nach Deutschland verirrt hatte. Der Einzige, der in meiner Konzertliste noch fehlte, war LL Cool J. Als ich also erfuhr, dass er ein Konzert in Stuttgart geben würde, fuhr ich sofort hin. Ich kann mich an diesen Tag noch genau erinnern: Es goss in Strömen, ich stand ganz vorne am Bühnenrand, und die Menge wartete. Dann kam er rein, mit einem schwarzen Regenschirm in der Hand, von oben beleuchtet, wie ein besonders teurer Diamant, und fegte über die Bühne wie ein Tornado. Am Ende des Konzerts ging ich glücklich nach Hause, und zum ersten Mal fragte ich mich, wie sich das wohl anfühlen musste – ein Talent zu haben, mit dem man Menschen glücklich machen konnte.
»Na und?«, stänkerte ich und bereute, mich überhaupt mit Mirac getroffen zu haben. Mirac und seine verrückten Ideen.
»Wir gehen jetzt in die Kneipe und ziehen unser Ding durch.«
»Unser Ding. Wovon redest du?«
»Ganz einfach – Mucke an, und ich mache Breakdance dazu. Wenn jeder von den besoffenen Amis zehn Dollar gibt, haben wir schon ordentlich was in der Tasche.«
Ich musste lachen, denn Mirac war der schlechteste Breakdancer weit und breit. Jedes Mal, wenn er sich zur Musik bewegte, sah er aus wie ein Drogensüchtiger auf Entzug.
»Du kannst das gar nicht.«
»Klar kann ich das! Du wirst sehen, es wird Dollars regnen.«
»Es wird höchstens Stiefeltritte regnen.« Mirac machte mich wütend, ich hatte mir Zeit genommen, in der Hoffnung, Geld zu verdienen, und er kam wieder mit diesen lächerlichen Einfällen.
»Ich habe geübt«, murmelte Mirac. Er schien über meine Reaktion tatsächlich enttäuscht zu sein.
»Das kannst du vergessen, bin doch kein Straßenpenner, der betteln geht und sich zum Affen macht – für so einen Mist bin ich zu alt!«
»Du musst gar nichts machen, nur mitkommen, und ich teile fair.«
»Vergiss es. Du kannst das nicht, Mirac.«
»Natürlich kann ich das – ich kann alles, wenn ich es will!«
Sein Gesicht glühte vor Überzeugung.
»Das glaubst aber nur du.«
»Na und, das ist auch das Wichtigste. Wenn ich an mich glaube, werden es die anderen auch schon tun.«
Ich schaute Mirac an. Was war das nur für ein Mensch?, fragte ich
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