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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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mich, woher nahm er diesen Eifer und diesen zähen Glauben an sich selbst? Wie sollte ich jemandem, der solche Dinge sagte, etwas abschlagen können? Ich nahm den Ghettoblaster unter den Arm, und zusammen machten wir uns auf den Weg zur nahe gelegenen Kneipe.
    Die Kneipe war voll mit Amerikanern, die mit lauten Stimmen auf Englisch fluchten und pöbelten, während sie sich gutes deutsches Bier in die Kehlen kippten. Einige trugen eng anliegende T-Shirts und Armeehosen, andere waren normal gekleidet und unterschieden sich nur durch ihre Größe vom Pirmasenser Volk. Ein blonder GI mit der Statur eines Schrankes rauchte eine Zigarre, während neben ihm zwei knapp bekleidete Frauen anzügliche Schlangenbewegungen machten. Die GIs spielten Karten, einer schlug einem anderen auf den Nacken, lachte und lehnte sich zurück, sodass ein Bein des Holzstuhles abbrach und ihn rückwärts taumeln ließ. Der Wirt, der zuvor gelangweilt auf die Mattscheibe, wo gerade für eine Sexhotline geworben wurde, geschaut hatte, seufzte genervt und schob den zerbrochenen Stuhl beiseite. Es lief keine Musik, man vernahm nur einen Geräuschesalat aus pöbelnden Amerikanern, vermischt mit dem leisen Hintergrundstöhnen masturbierender Frauen aus dem Fernsehen.
    Mirac räusperte sich. Keiner beachtete ihn. Er räusperte sich lauter, und eine vorbeigehende Frau drückte ihm eine Bierflasche in die Hand, weil sie wohl dachte, er habe einen trockenen Hals. Mirac stellte die Flasche mit einem Rumps auf der Bar ab und ging entschlossen zu einem Tisch in der Mitte des Raumes. Die Decke der Kneipe war über und über mit Zeitungspapierresten beklebt, an den Wänden hingen Fotos von Prominenten. Prominente wie Michael Jackson und Al Pacino, die bestimmt noch nie im Leben etwas von Pirmasens gehört hatten. Mirac schloss sein Mikrophon an und stellte den Ghettoblaster auf dem Tisch ab … und dann kletterte er tatsächlich auf den Tisch. Einige Köpfe drehten sich in seine Richtung. Der Wirt bellte: »Runter vom Tisch, du Idiot!«, und ich stellte mich an die Bar, um das Geschehen aus einer sicheren Entfernung zu beobachten. Mirac hauchte ins Mikrophon – ein penetrantes Piepen ertönte –, einige hielten sich die Ohren zu und fluchten laut. Mit einem Mal hatte er die gesamte Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.
    »Ladies and Gentlemen, heute habe ich was Besonderes für euch vorbereitet.« Die meisten verstanden anscheinend kein Wort, lachten und stupsten sich gegenseitig an, weil ein schlaksiger Zigeunerjunge auf dem Tisch herumhampelte und eine Rede hielt. Ich war fassungslos. Da stellte sich Mirac tatsächlich für ein paar mögliche Dollar in einen Raum voller GIs, nur um seine grottenschlechten Tanzkünste zu präsentieren – dieser Junge war entweder sehr dumm, oder er hatte zu viel Mumm. Als Nächstes machte er den Ghettoblaster an, legte das Mikro zur Seite und 2Pacs raue Stimme hallte aus den Lautsprechern. Einige der Männer wippten zu der Musik, die Frauen schrien: »Yeah!«, und bewegten sich zum Takt. Mirac stieg vom Tisch und machte sich auf einer Fläche Platz. Die Amerikaner klatschten und freuten sich, weil endlich jemand Leben in die Bude brachte. Dann tönte Mirac: »Enjoy the show!«, und begann mit seinen kreisförmigen, spastischen Bewegungen. Er machte eine Drehung und warf sich auf den Boden, was nicht galant, sondern ungeschickt aussah. Die ersten Gäste fingen an zu lachen. Eine Frau, die ein kurzes Kleid trug und zu stark geschminkte rote Lippen hatte, hob die Augenbrauen und guckte Mirac an, als wäre er nicht ganz dicht. Jemand warf mit einer ausgedrückten Zigarette nach ihm, der Blonde schmiss Erdnüsse und rief: »Fuck off!« Viele machten abwertende Gesten mit den Händen und drehten sich demonstrativ um. Mirac ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, sondern machte unbeirrt weiter. Als er über seine eigenen Beine stolperte, auf dem Hintern landete und die Frauen über ihn lachten, konnte ich mir dieses Trauerspiel nicht länger ansehen. Ich ging zu ihm rüber, half ihm hoch und flüsterte ihm in Ohr: »Komm jetzt, lass uns abhauen.« Alle waren genervt von Mirac, die Stimmung im Raum wurde kontinuierlich schlechter. Mirac schüttelte mich ab und machte unverdrossen weiter. Wie gerne hätte ich ihm in diesem Moment eine Ohrfeige verpasst.
    »Bist du auf Drogen? Komm jetzt!«
    »Lass mich, wir brauchen die Dollars!«
    Ein Hüne, der vorher Karten gespielt und eine von Brüchen zerdrückte Nase hatte, kam auf uns zu,

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