Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
Vom Netzwerk:
meinte: »Go home, boy« und schüttete Mirac Bier ins Gesicht. Der ließ sich nicht einschüchtern und ballte die Fäuste; sie gingen aufeinander los, ich stellte mich dazwischen, und es kam zu einem Gerangel. Der Blonde zog den Hünen von uns weg, sagte in einem fröhlichen Ton: »He’s a loser«, und warf dem anderen einen Blick zu, der ausdrücken sollte »Der ist es doch gar nicht wert«. Mirac verzog das Gesicht, ich rammte ihm meinen Ellenbogen in die Rippen, damit er sein vorlautes Maul hielt. Ich wollte gerade den Ghettoblaster holen und verschwinden, da legte mir der Blonde die riesige Hand auf die Schulter: »But you look like a star – like another version of LL Cool J.« Er lachte, alle lachten, und die Stimmung lockerte sich wieder auf.
    »What’s your talent?«, wollte er wissen. Ich zuckte mit den Schultern, weil ich kein Talent hatte.
    »Come on, show us something!« Er sah in die Runde, alle nickten und schauten mich gebannt an. Mirac nuschelte: »Mach schon irgendwas, bevor die uns zerfetzen«, und ich zischte gereizt: »Was zum Teufel soll ich machen – das ist alles nur deine Schuld!« Alle warteten auf meine Reaktion, und vielleicht war es Zufall, vielleicht auch Schicksal, dass in dieser Sekunde »All Eyez on Me« aus dem Ghettoblaster ertönte. Mein Lieblingssong. Ich kannte jede Passage auswendig. Abermals hatte ich diesen Song vor meinem Zimmerspiegel geübt, ohne ernsthaft darüber nachzudenken, schnappte ich nach dem Mikrophon und legte los. Ich hatte nie vorgehabt, außerhalb meines Zimmers so etwas zu tun, doch schwere Zeiten verlangen schwere Maßnahmen. Mein Herz raste, und ich versuchte niemandem in die Augen zu sehen, weil ich mir meine Scham nicht anmerken lassen wollte. Meine Stimme füllte den Raum. Alle waren still.
    »All Eyez on Me …«, rappte ich und tatsächlich waren alle Augen auf mich gerichtet. Der Blonde nickte, andere klatschten, die Frauen machten wieder ihre Schlangenbewegungen. Ich hörte wie jemand »Fuck, yeah!« rief, plötzlich hoben alle im Raum die Hände in die Höhe und rappten mit. Die GIs griffen in ihre Hosentaschen und schmissen mir Dollars zu. Mirac bückte sich und sammelte das Geld ein. Als der Song zu Ende war und ich aufhörte, grölten alle im Raum. Alle klatschten, einige der Männer kamen auf mich zu, meinten: »Good boy«, und tätschelten meinen Kopf, als wäre ich ein Schoßhündchen.
    »You are the new LL Cool J.« Der Blonde klopfte mir auf die Schulter und präsentierte mich seinen Freunden, als hätte er mich entdeckt – und vielleicht war es auch so. Ich grinste. Ich war stolz. All diese bewundernden Blicke. Bewunderung. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, bewundert zu werden. Wir gingen raus, die Taschen voll mit Dollars. »Was war das denn?«, meinte Mirac. Ich schwieg, weil ich es selbst nicht so genau wusste.
    »Das hast du ja richtig drauf – hast heimlich geübt, ja?« Er zwinkerte mir zu.
    »Unsinn«, antwortete ich.
    »Du solltest Rapper werden.«
    »Was?« Ich musste lachen.
    »Hast du das nicht gesehen? Du hast alle umgehauen, das nur mit deiner Stimme! Scheiße man, du hast die Stimme !«
    Ich grinste. Wir gingen einige Meter, und plötzlich war da dieses Verlangen, das Verlangen, es zu wiederholen. Ich war immer noch aufgeheizt und voller positiver Energie. So hatte ich mich noch nie gefühlt. Man hatte mir auf die Schultern geklopft, es hatte Dollars geregnet – man hatte mich bewundert. Ich blieb stehen.
    »Mirac, ich werde Rapper!«, rief ich aus heiterem Himmel.
    »Ja, du wirst Rapper!«, stimmte er zu, doch von ihm hatte ich auch nichts anderes erwartet.
    »Du wirst der neue LL Cool J, ha!« Mirac tanzte durch die Straße und schmiss mit Geldscheinen um sich. »Du wirst Pirmasens, ach was, du wirst Deutschland erobern!« Ich lachte.
    Ich hatte beschlossen, Rapper zu werden. Ein einziger Augenblick hatte gereicht, um das zu entscheiden, doch so ist es eben im Leben – die wirklich wichtigen Entscheidungen trifft man aus dem Bauch heraus. Was ich in dieser kleinen, stickigen Kneipe gefühlt hatte, konnte ich schwer in Wort fassen. Jeder Mensch, der weiß, wie es ist, ein Niemand zu sein und für einen winzigen Moment, so flüchtig wie ein Regenbogen nach einem Gewitter, spürt, wie es sein könnte, ein Jemand zu sein, weiß, wovon ich rede. Es ist das beste Gefühl der Welt. Ich war bereit, alles zu geben, alles aufzugeben , um mich noch einmal so zu fühlen. Ich wusste, dass es Dinge gab, die ich tun

Weitere Kostenlose Bücher