Massiv: Solange mein Herz schlägt
Jahren.«
»Glaub mir, wir können auch legal viel Geld verdienen.«
Geld konnte man immer gebrauchen, wenn man sein Leben verändern wollte, dachte ich mir und machte mich auf den Weg zu unserem Treffpunkt. Draußen wehte ein trockener Wind, die kahlen Bäume und das Laub auf den Straßen machten mich nervös. Ich dachte daran, wie viele Jahre ich schon verschwendet hatte, wie sehr ich unter Zeitdruck stand, denn die Welt wartete nicht auf mich. Mit jedem erfolglos vergangenen Tag fiel ein Korn in meiner inneren Sanduhr.
»Wasiem, wir brauchen Kohle. Die Zeit rennt. Unsere Träume warten nicht auf uns«, sprach Mirac mir aus der Seele. Ich erzählte ihm von meinem Entschluss, mein Leben zu verändern, von der Stimme und den Dingen, die sie gesagt hatte. Mirac nickte, legte seine Stirn in Falten, wie ein grübelnder Philosoph.
»Ich verstehe. Dieses Null-acht-fünfzehn-Leben und diese hässliche Leere erträgt doch kein normaler Mensch. Verstehst du mich endlich, warum ich mein ganzes Geld spare, nur um aus diesem Rattenloch rauszukommen? Ich weiß genau, von welchen Stimmen du sprichst. Endlich hörst du sie auch.«
»Ich höre sie nicht, du verrückter Hund! Du und deine beschissenen Aliens … meine Güte, werde erwachsen. Ich rede von der Stimme .« Ich merkte, wie bescheuert ich mich eigentlich anhörte, der Stimme – was zum Teufel sollte das sein?
»Ist doch scheißegal, wessen Stimme du hörst, Hauptsache eine Stimme, die dir sagt, wo es langgeht. Hab ich dir schon erzählt, wie ich einmal knapp dem Tod entkommen bin?«
»Ja, du hast mir schon hundert Mal erzählt, wie du drei, nein, vier Mal, knapp dem Tod entkommen bist! Du hast es jedem schon erzählt!«
»Würdest du es nicht jedem erzählen, wenn du vier Mal knapp dem Tod entkommen wärst?« Ich schnaufte, weil ich keine Lust auf eine seiner Geschichten hatte.
»Auf jeden Fall war das 1989, als mein Vater, dieser versoffene Taugenichts – seine verdammte Seele ruhe in Frieden –, mit einem gläsernen Aschenbecher nach mir warf und statt meinen Kopf die Fensterscheibe zerschlug …«
»Mirac, ich kenne diese Geschichte. Warum erzählst du sie mir jetzt überhaupt?«
»Unterbrich mich nicht, Scheiße noch mal, ich hasse es, unterbrochen zu werden! Auf jeden Fall bin ich weggerannt, weil ich wusste, mein Vater, dieser versiffte Penner – er ruhe in Frieden – würde mir die Schuld am kaputten Fenster geben und mir den Arsch versohlen. Ich lief so weit weg, wie ich konnte, es war dunkel, irgendwann kam ich irgendwo an und legte mich einfach schlafen. Kannst du dir vorstellen, wie oft ich irgendwo auf der Straße schlafen musste, um nicht den Arsch versohlt zu kriegen?«
»Nein.«
»Dachte ich mir schon, du verwöhnter Bengel. Ich wachte am nächsten Morgen auf, weil irgendeine Stimme Mirac rief. Immer und immer wieder, bis ich mir den Schlaf aus den Augen rieb und feststellen musste, dass gerade ein Zug auf mich zugerast kam – weil ich auf den verfluchten Bahnschienen eingeschlafen war, ha!«
»Du hast eine blühende Fantasie, Mirac.«
»Ich sag es dir, ohne diese Stimme hätte der Zug meinen Kopf wie eine Wassermelone in zwei Hälften geteilt.« Ich musste daran denken, wie auch mir vor einiger Zeit eine Stimme das Leben gerettet hatte. Mirac erinnerte mich daran zurück. Ich hatte es fast vergessen. Langsam machte ich mir ernsthafte Sorgen, wie ähnlich Mirac und ich uns waren.
»Was ist mit deiner Idee?«, fragte ich, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen. Abwesend kaute er an seinen Fingernägeln herum und beobachtete teilnahmslos einen älteren Mann, der auf dem Laub ausrutschte, auf dem Hintern landete und fluchend wieder aufstand. Mir fiel der Ghettoblaster auf der Parkbank auf.
»Was willst du damit? Heute hat das Jugendhaus zu.« Ich zeigte auf das alte Ding.
»Ich sagte doch, ich habe eine Idee.«
»Was hat der Ghettoblaster damit zu tun?«
»New York regiert die Welt. Dollars regieren die Welt.« Mirac grinste.
»Und?«
»Wir brauchen Dollars.«
»Wir verdienen keinen müden Euro, und du redest von Dollars!« Ich verdrehte die Augen, wollte gerade zurückgehen und weiter an meinem Lebensplan arbeiten, da sagte Mirac: »Die GIs – die haben Dollars.«
»Komm jetzt auf den Punkt, Mirac!«
»Die Amis stehen doch auf diesen ganzen Hiphop-Scheiß. Rap und Breakdance – darauf fahren die voll ab«, meinte er ausgelassen.
Ja, die Amerikaner hatten, außer Flüche und Sicherheit, auch etwas anderes
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