Massiv: Solange mein Herz schlägt
einem riesigen Geschenkkarton zu mir nach Hause. Mama sagte entzückt: »Dein Freund hat dir was ganz Besonderes gekauft, sieh mal, wie schön er das verpackt hat.« Ich bedankte mich herzlich bei Mirac, und er verabschiedete sich unter dem Vorwand, etwas erledigen zu müssen. Ich begann sein Geschenk auszupacken. Unter dem Geschenkpapier waren unzählige Lagen Zeitungspapier, nach jeder ausgepackten Schicht wurde ich neugieriger und aufgeregter. Am Ende war es ein Nutellabrot – Schwarzbrot mit Nutella.
Von Mirac lernte ich, wenn man mit dem Inhalt keinen Eindruck schinden konnte, musste man es zumindest mit der Hülle tun. Ich machte einen Termin bei einem professionellen Fotografen, er sollte mich für das CD-Cover vernünftig in Szene setzten. In der Umgebung gab es wenige professionelle Fotostudios. Das Fotostudio roch und sah aus wie ein umgebautes Dixi-Klo und nicht wie der Ort, an dem zukünftige Stars geboren wurden. Der Fotograf war ein müde aussehender Mann mit fettigen aschblonden Haaren und einem Möchtegern-Intellektuellen-Look: schief sitzende Brille, Baskenmütze, ein zwei Monate lang getragenes Shirt, das ursprünglich weiß und nun uringelb war. Er sah aus wie jemand, der zum Frühstück drei Tage alte Pizza aß und von seinem Fotografenjob nicht besonders gut leben konnte. Doch ich durfte nicht wählerisch sein, es kamen noch eine Menge weiterer Kosten auf mich zu, deshalb musste ich meine Ansprüche herunterschrauben.
»Was kann ich für dich tun?«
»Ich brauche ein gutes Bild für das Cover meiner CD.«
»Du siehst aber nicht aus wie ein Musiker.«
»Und du nicht wie ein Fotograf.«
Damit waren die Fronten geklärt. Der Mann rollte die müden Augen, schnippte mit dem Finger und drehte sich wie eine Ballerina um die eigene Achse. Anscheinend hielt er sich für besonders wichtig. Wir gingen zwei Schritte weiter, ich stellte mich vor eine weiße Wand und ließ mich ablichten.
»Was soll das? Willst du einen Besen imitieren?«, fragte er.
»Was soll ich denn machen?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Du bist doch der Fotograf!«
»Ach, jetzt auf einmal. Steh da nicht so stocksteif rum.« Ich stöhnte genervt, verschränkte meine Arme vor der Brust und versuchte wie 2Pac auf den Plakaten in meinem Zimmer zu posen. Ich kam mir lächerlich vor, in einem Studio zu posieren, das nach einem Örtchen für Bauarbeiter roch, aber ich gab mein Bestes, denn man sollte an jedem Ort und zu jeder Zeit sein Bestes geben.
Am Abend suchte ich im Internet nach einem Studio, um dort meine CD aufzunehmen. Dieses Mal wollte ich nicht sparen. Ich war bereit, mein gesamtes Erspartes, selbst mein letztes Paar Turnschuhe in meinen Traum zu investieren. In was sollte man sonst investieren als in seine Träume?
Ich fand das beste Studio im Umkreis von einigen Kilometern. Der Produzent sah mich verwundert an.
»Ich nehme normalerweise nur Songs mit Musikern auf.«
»Ich bin ein Musiker.«
»Du siehst aber nicht aus wie ein Musiker.«
Langsam ging mir das ganze »Du siehst aber nicht aus wie ein Musiker« wirklich auf die Eier.
»Ich bin Rapper und möchte mich bei einigen Labels vorstellen.«
»Also bist du noch kein Rapper.«
»Wie?«
»Na, weil du keinen Vertrag hast. Momentan bist du eher so was wie ein Möchtegern-Rapper.«
»Wie auch immer. Ich möchte meine Songs hier aufnehmen.«
»Ein Demo-Band kannst du doch auch kostengünstig selbst erstellen.«
»Es muss professionell aussehen.«
»Das kann ich verstehen.« Er musterte mich von unten nach oben. »Aber professionell ist teuer.«
»Es ist egal, wie viel es kostet.« Das war der Zaubersatz. Mit seinem weißen Anzug, der aus dem Kostümfundus der alten Miami Vice -Fernsehfolgen hätte stammen können, und den glatt nach hinten gegelten Haaren wirkte er auf mich auch nicht unbedingt wie der Produzent der Stars, sondern eher wie ein schmieriger Schmock. Einer, der in Mittelklassediskotheken angetrunkenen Frauen Visitenkarten mit dem Versprechen, sie ganz groß rauszubringen, in die Hand drückte, nur um sie zu knallen und am nächsten Morgen zu behaupten, sie hätten nur mäßiges Talent bewiesen. Doch der Schmock war das Beste, was ich kriegen konnte, also nahm ich innerhalb von zwei Tagen zweiundzwanzig Lieder auf. Aufgrund meines immensen Selbstvertrauens hatte der Schmock wohl damit gerechnet, ein unentdecktes Talent vor sich zu haben. Jemand, der weder wie ein Musiker aussah noch irgendwo unter Vertrag stand, musste entweder ein
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