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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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Pirmasens lebte, hatte er gesagt. Ali, ursprünglich Libanese, hatte blaue Augen und helle Haut, er war schon in Pirmasens für sein Temperament berühmt-berüchtigt, das schneller überkochte als ein Topf mit heißer Milch. Ali hatte mir angeboten, so lange bei ihm zu wohnen, wie ich wollte.
    Berlin war anders als Pirmasens. So stellte ich mir New York vor. Eine große Stadt, die niemals schlief. Es war laut, voll und bunt. Verschleierte Frauen und Nonnen gingen auf derselben Straßenseite, Männer mit langen Bärten, Frauen in kurzen Miniröcken gingen in denselben Läden einkaufen. Das war Multikulti. So stellte ich mir eine Stadt voller toleranter Menschen vor. Erst später sollte ich am eigenen Leibe erfahren, wie tolerant Berlin tatsächlich war.
    In der Nacht vor dem Treffen mit MC Basstard konnte ich kaum schlafen. Vielleicht hing von diesem Treffen meine gesamte Karriere ab. Ich musste einen guten Eindruck schinden. Hier ging es nicht darum, einen Job als Lagerarbeiter zu bekommen, sondern ein bekannter Rapstar zu werden. Ich zeigte Ali die Horrorkore-Homepage.
    »Zieh am besten einen schwarzen Mantel an – so matrixmäßig«, riet er mir.
    »Unsinn. Ich gehe ganz normal hin.«
    »Normal? Die machen Songs, mit denen man Zombies zu Tode erschrecken kann. Da kannst du doch nicht normal hingehen.«
    »Das ist aber nicht mein Stil.«
    Ich stellte mir vor, wie ich mit roten Kontaktlinsen und im schwarzen Mantel auf einer Bühne stand und darüber rappte, wie man Katzen quälte, während Mama erschrocken aus dem Publikum zusah und grübelte, wie viel Leid ich ihren Katzen wohl bereitet hatte. Keine Idealvorstellung.
    Am nächsten Tag ging ich zu der Adresse am Prenzlauer Berg und klingelte. Keiner machte auf. Ich klingelte erneut. Und dann noch einmal. Immer noch öffnete keiner die Tür. Erst beim sechsten Mal kreischte eine verstörende Stimme aus der Gegensprechanlage: »Waaas?«
    »Hier ist Wasiem.«
    »Wer?«
    »Pitbull.«
    »Was für ’n Köter?«
    »Bist du MC Basstard?«
    »Wer will das wissen?«
    »Na ich.«
    »Bist du ein Zivi?«
    »Nein, wir haben jetzt einen Termin. Du hast mich vor zwei Tagen angerufen – mein Bild hat dir gefallen, und du fandst meinen Brief zuckersüß.« Er ließ mich rein. Oben angekommen klingelte ich erneut, und schon wieder machte niemand auf. Langsam war ich mir sicher, es musste sich um eine Sekte handeln. Nach einigen Minuten öffnete er die Tür.
    »Da bist du ja endlich! Sag mal, wie kommst du auf die Idee, dich wie ein Köter zu nennen?« Das fragte jemand, der sich einen Bastard nannte, dachte ich, verkniff mir aber die Bemerkung. Mein Gegenüber grinste, statt Zähnen hatte er ein Gebiss aus Metall, das wie ein Foltergerät aus dem sechzehnten Jahrhundert aussah. Wo war ich bloß gelandet? MC Basstard hatte graue Haare, die seinen Schädel wie eine schlecht sitzende Perücke verzierten, und aufgequollene rote Augen. Sein verrückter Blick sagte: »Ihr könnt mir alle den Buckel runterrutschen.«
    »Komm rein, wir erwarten dich schon.« Eine muffige Wolke, die nach Pot, ungelüfteten Räumen und abgestandenen Zigaretten roch, kam mir entgegen.
    »Ist das euer Büro?«, fragte ich und sah mich in der düsteren kleinen Wohnung um.
    »Ja, so was Ähnliches«, antwortete er und geleitete mich ins Wohnzimmer. Dort lagen zwei Jungs auf der Couch und zappten durch die Fernsehkanäle, sie nickten mir kurz zu und beachteten mich nicht weiter. Auf dem Tisch standen halb leere Wodkaflaschen, die Aschenbecher waren voll wie in einer Kneipe, und die Rollos waren runtergezogen, sodass kein bisschen Tageslicht ins Zimmer dringen konnte.
    »Trinkst du schon um diese Uhrzeit?«, fragte ich MC Basstard. Normalerweise stellte man seinem zukünftigen Produzenten nicht solche Fragen, normalerweise versucht man sich zurückzuhalten, um einen möglichst guten Eindruck zu schinden. Da es aber vier Uhr nachmittags und mitten in der Woche war und mein Produzent anscheinend gerade aufgestanden war, auf dem Tisch leere Packungen mit chinesischem Essen und lauter Alkoholflaschen standen, außerdem alle in diesem Raum, einschließlich MC Basstard, ziemlich benommen wirkten, schien das doch eine legitime Frage zu sein.
    »Ich? Wo denkst du denn hin.« Er schien empört zu sein, griff nach einem Tütchen und Papers und baute sich daraus einen Joint.
    »Ich trinke nie.« Das war also mein neues Management. Eine Truppe bekiffter Männer, die in einem muffigen, dunklen Zimmer Unterschichtenfernsehen

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