Massiv: Solange mein Herz schlägt
das authentisch genug war und den Nerv der Zeit treffen konnte. Nach unzähligen Versuchen hatte ich immer noch nicht das Gefühl, etwas geschrieben zu haben, das mich zu einem Megastar machen konnte.
Mit einem unzufriedenen Gefühl in der Magengegend fuhr ich nach Berlin, um die ersten meiner Songs aufzunehmen. MC Basstard machte mich mit Woroc bekannt, einem ständig schlecht gelaunten, aus Kroatien stammenden Riesen. Er hatte ein Studio in Berlin-Kreuzberg und sollte meine Songs produzieren. Natürlich würde es nicht so einfach werden, denn MC Basstards Leute waren genauso unzuverlässig und abgedreht wie er selbst. Worocs Studio, ein verqualmter, kleiner Raum, dessen Wände mit Graffiti und Aufklebern zugedeckt waren, befand sich in einem dunklen Hinterhof und wirkte auf mich eher wie ein Drogenversteck. Woroc ließ mich, genauso wie MC Basstard, immer warten. Wenn er dann endlich kam, meistens mit dunkler Sonnenbrille und einem mürrischen Gesichtsausdruck, gab er mir das Gefühl, sich über mich zu ärgern, weil er sich wegen mir auf den langen Weg ins Studio hatte machen müssen. Woroc erzählte mir, er habe während seiner Militärzeit den Bosnienkrieg hautnah miterlebt und direkt an der Front gekämpft. Damit erklärte sich auch sein schlechter Gemütszustand: Männer, die aus dem Krieg kamen, hatten die Angewohnheit, immer schlecht gelaunt zu sein. Das kannte ich schon von Baba.
Manches Mal, wenn ich nach stundenlanger Fahrt von Pirmasens nach Berlin vor Worocs Studio stand, war er nicht da. Sein Handy war aus, MC Basstards Handy war aus – plötzlich waren alle Leute, mit denen ich zu diesem Zeitraum zusammenarbeitete, wie vom Erdboden verschluckt. Dieser Zustand machte mich fuchsteufelswild, weil sich die Aufnahmen über mehrere Wochen, nein Monate hinzogen, ich immer wieder hin- und herpendeln musste und keine Geldeinnahmequelle hatte, mit der ich solche Reisen auf Dauer finanzieren konnte. Was sollte ich aber tun? Ich war auf diese Menschen angewiesen – angewiesen auf einen kiffenden Bastard und einen Kroaten mit Kriegstraumata. Ein halbes Jahr lang lebte ich halb bei meinen Eltern in Pirmasens und halb bei Ali, weil die Aufnahmen, die unter normalen Umständen in einem Monat im Kasten gewesen wären, nicht fertig wurden.
Einmal, mitten in einer Session, klingelte Worocs Handy. Er unterhielt sich kurz und brach daraufhin die Aufnahmen ab.
»Ich habe etwas Wichtiges zu erledigen, lass uns das auf morgen verschieben.« Woroc sprang von seinem Stuhl auf und deutete mir an, es sei für mich Zeit zu gehen. Das war gang und gäbe. Woroc bekam einen lebenswichtigen Anruf und machte sich urplötzlich aus dem Staub.
»Ich bin den weiten Weg gefahren, um diesen Song aufzunehmen, das kannst du doch nicht machen«, beschwerte ich mich. Noch ein verschwendeter Tag, ärgerte ich mich, wieder siebenhundert Kilometer umsonst zurückgelegt.
»So ist es nun mal im Ghetto – man weiß nie, was der Morgen bringt.«
»Wir sind in Berlin und nicht im Bosnienkrieg.«
»Meinst du, hier herrscht kein Krieg?«
»Wovon redest du?«
»Von dem Krieg auf der Straße.«
»Du übertreibst.«
»Du kommst aus einem Kuhdorf, du hast keine Ahnung, wo du gelandet bist.«
»Woroc, das ist mir egal. Ich will vorankommen. Wenn es so weitergeht, werde ich niemals einen Song rausbringen.«
»Mit deiner deutschen Arbeitsmoral kommst du hier nicht weit.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen.«
»Pass dich lieber deiner Umgebung an, außerdem sind deine Songs nun nicht gerade weltbewegend, also entspann dich, wir machen das schon irgendwann.« Woroc zog los. An anderen Tagen kam er benommen, mit Schürfwunden und violetten Färbungen unter den Augen ins Studio. Er war dauernd in irgendwelche Prügeleien verwickelt, musste ständig etwas klären , und irgendwann überkam mich der Verdacht, dieses Studio wäre nur ein Scheinstudio. Als ich MC Basstard darauf ansprach, reagierte er verständnislos.
»Das ist Berlin, du kannst nicht erwarten, dass alle nach deiner Pfeife tanzen. Die Menschen hier haben echte Probleme, hier gibt es richtige Gangster und Ghettos, nicht wie in deinem Kaff.« Dieses Gefasel ging mir auf den Sack, ich wollte Musik machen und mich nicht mit den Problemen anderer Leute beschäftigen.
»Ich weiß nicht, was das für Probleme sein sollen, aber ich bin hier, um Musik zu machen.«
»Ach, so einer bist du also. Interessierst dich nicht für die Probleme anderer?«, gab MC Basstard abfällig von sich.
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