Matharis Kinder (German Edition)
Lobar“ – Freie Erde – nannte sich die Bewegung.
Seither trafen sich in diesem Haus Menschen unterschiedlichster Herkunft: Bauern, Handwerker, Händler, Alte, Junge, Männer, Frauen. In trotziger Ver zweiflung tauschten sie Ideen aus, schmiedeten Pläne, streuten Sandkörner in das Getriebe eines sich seit Jahrzehnten drehenden, mörderischen Mahlwerkes.
Für einige der Rebellen wurden die Sümpfe zur dauerhaften Zuflucht. Sie lernten, dem tückischen Boden sichere Flecken abzuringen und errichteten sich darauf neue Behausungen.
Was Janael nicht wissen konnte und nun dreißig Jahre später erfuhr: Die kurze Zeit der Liebe zwischen ihm und seiner Retterin war nicht ohne Folgen geblieben. Neun Monate später fand in der kleinen Behausung ein rotgesichtiges Mädchen den Weg in die Welt.
Vergeblich suchte Marita auf dem Körper ihres Kindes nach dem Schimmer, den sie auf der Haut seines Vaters gesehen hatte. Sie konnte nicht wissen, dass dafür der Besuch des Schmiedes notwendig gewesen wäre.
Woher aber hätte der Schmied ahnen können, dass seine Dienste jenseits der Sümpfe in einem Haus der ‚Anderen’ gebraucht wurden?
So blieb das kleine Wesen ohne Rüstung. Vielleicht war das der Grund, weshalb es nur drei Tage am Leben blieb.
Punja zeigte Janael das kleine, über alle Jahre liebevoll gepflegte Grab des Kindchens. Es lag dicht neben der Ruhestätte seiner Mutter, die ihrem Töchterchen vor zwei Jahren in die jenseitige Welt gefolgt war.
ZEHN
Den vernommenen Geschichten nachträumend blieb Torian im Haus zurück. Gedankenverloren strichen seine Hände über das hell gescheuerte Holz des Tisches. Was mochte dieses einfache Möbelstück alles erlebt haben! Menschenschicksale hatten sich darauf entschieden. Die Widerstandsbewegung war hier gegründet worden, von einer Frau, deren Mut grösser gewesen war als ihre Trauer.
Plötzlich fühlte Torian, wie ein leises Wehen über seine Schulterblätter strich … Maritas Geist wanderte in der Küche umher. Sie wusste, dass der verlorene Geliebte zurückgekehrt war.
Ehrfürchtig neigte der junge Blumenhüter den Kopf.
Ein Knarren unterbrach die andächtige Versunkenheit. Konnte ein Geist eine Türe bewegen? Aber nein, es waren bestimmt nur Punja und Janael, die zurückkehrten.
Doch die Türe schloss sich nicht wieder. Die Kühle des frühen Abends weckte den Jungen endgültig aus seiner Träumerei. Er öffnete die Augen und drehte sich um.
Da sah er sie.
Janis.
Punjas Tochter.
Sie stand im Türrahmen, hielt einen grob geflochtenen Henkelkorb an sich gedrückt. Eine schmale, hoch gewachsene Gestalt. Ihr Gesicht lag im Schatten, ihr Haar leuchtete als rotgoldenes Gespinst im Licht der letzten Sonnenstrahlen.
Eigenartigerweise trug sie weder Kleid noch Schürze, sondern nach Männerart Hosen, dazu eine weite, grob gewebte Jacke. Ihre Füße steckten in festen Schuhen, mit denen sie offenbar lange über steiniges, staubiges Gelände gewandert war.
Die junge Frau trat über die Schwelle und schloss die Türe hinter sich. Mit wenigen Schritten erreichte sie den Tisch. Nachdem sie den Korb abgesetzt hatte, musterte sie den vor ihr sitzenden Besucher unbefangen.
„Grüß dich“, sagte sie mit überraschend tiefer, melodischer Stimme, „schön, dass wieder einmal einer von euch bei uns vorbei schaut. Wir haben uns schon gefragt, was los ist mit euch.“
Torian wusste nicht, was er ihr antworten sollte. Die freund liche Selbstverständlichkeit, mit der sie ihn willkommen hieß, raubte ihm die Sprache. Er konnte nichts weiter tun, als dasitzen und die junge Frau mit offenem Mund anstarren.
Wieder öffnete sich die Türe. Diesmal war es wirklich Punja.
„Na, da bist du ja endlich“, tadelte sie ihre Tochter sanft, um gleich mit mütterlicher Fürsorge fortzufahren: „Ich habe noch Suppe auf dem Herd stehen, du hast sicher Hunger.“ Dann guckte sie in den Korb, den das Mädchen mitgebracht hatte und nickte anerkennend.
„Wunderbar, so viel Silberglockenkraut – davon kann man nie genug haben. O, da sind sogar Vogeltäublinge! Das ist gut, das ist sehr gut.“
Noch während sie redete, breitete sie die gesammelten Pflanzen auf dem Tisch aus, bündelte und hängte sie danach zum Trocknen auf. Die Vogeltäublinge hingegen, seltene und sehr giftige Pilze, aus denen bei richtiger Zubereitung ein höchst wirkungsvolles Narkotikum gewonnen werden konnte, kamen sofort in eine Pfanne.
Janis hatte sich inzwischen an den
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